Rotteck und die Handvoll Junker. 235
drängende Künstelei. Er zählte auf, daß in der ersten Kammer sogar
einige der von der Krone ernannten Mitglieder gegen das Gesetz gestimmt
hätten, und in seinem Parteihasse verstieg sich der Held der unentwegten
Überzeugungstreue bis zu der Behauptung: diese Mitglieder seien ver-
pflichtet, ihre Uberzeugung den Ministern zu opfern! Da der Präsident die
Schmähungen ungerügt ließ, so beschwerte sich die beleidigte erste Kammer.
Rotteck aber verweigerte jede Genugtuung und rief unter donnerndem
Beifall: „Zum Höfling bin ich verdorben, ich bin Volksvertreter !“ —
ein geflügeltes Wort, das fortan auf zahllosen Ehrenbechern und Dank-
adressen prangte. Schließlich mußte man sich doch zu einigen kleinen Zu-
geständnissen an die Grundherren bequemen; der Fürst von Fürstenberg,
ein feingebildeter, wohlwollender Aristokrat, vermittelte zwischen beiden
Kammern. Zwei Ablösungsgesetze, über die Fronden und den Neubruch-
Zehnten, kamen zustande, andere standen in sicherer Aussicht, und
Rotteck behielt das Verdienst, der agrarischen Reform die Bahn gebrochen
zu haben.
Auch in minder wichtigen Fragen bekundete sich der Übermut
der Liberalen. Auf ihr Verlangen mußte ein Zensor, der sich beim
Schoppen einige offenherzige Worte über Ludwig Philipp und die Fran-
zosen erlaubt hatte, sofort seines Amtes enthoben werden; jeder Zweifel an
der Tugend des messianischen Freiheitsvolkes galt schon als Verrat. Die
in Karlsruhe üblichen Motionen auf Beseitigung des Zölibats fehlten auch
diesmal nicht, obwohl weder Rotteck noch irgendeiner seiner katholischen
Freunde gesonnen war, der römischen Kirche den Gehorsam aufzusagen.
Der allen liberalen Gemütern teure Verfassungseid des Heeres wurde
ebenfalls gefordert, aber zum Glück noch abgewendet; nur die Offiziere
erhielten durch eine neue Dienstpragmatik dieselbe rechtliche Stellung wie
die übrigen Staatsdiener und „verwandelten sich also“, wie Rotteck rühmte,
„aus willenlosen Waffenknechten oder blinden Werkzeugen der Gewalt in
vaterländische Wehrmänner.“ Sehr stürmisch verliefen die Verhandlungen
über die Ausgaben des Heerwesens. Großherzog Ludwig hatte jahrelang
die Besoldungen des Chefs der Armee und des Kriegsministers für sich
bezogen, und die Kammern waren bisher über dies unfürstliche Verhalten
stillschweigend hinweggegangen, da der alte Herr jene beiden Amter in
der Tat verwaltet hatte. Jetzt aber wurde die abgetane Sache mit
großem Lärm ans Licht gezogen, der Kriegsminister sogar, wie es der
Brauch des Tages war, mit einer Anklage bedroht. Itzstein entleerte
einen Köcher voll vergifteter Pfeile gegen den Hof und schloß seine von
Bosheit triefende Rede mit den erhabenen Worten: „Der jüngst ver-
storbene Regent ruht im Grabe, als sprechender Beweis, daß Fürsten zu
bloßem Staube zurückkehren wie ihre Untertanen.“
Das für die Zukunft folgenreichste Ereignis dieser Tagung war eine
Motion Welckers auf „organische Entwicklung des Deutschen Bundes“.