Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Rotteck und die Handvoll Junker. 235 
drängende Künstelei. Er zählte auf, daß in der ersten Kammer sogar 
einige der von der Krone ernannten Mitglieder gegen das Gesetz gestimmt 
hätten, und in seinem Parteihasse verstieg sich der Held der unentwegten 
Überzeugungstreue bis zu der Behauptung: diese Mitglieder seien ver- 
pflichtet, ihre Uberzeugung den Ministern zu opfern! Da der Präsident die 
Schmähungen ungerügt ließ, so beschwerte sich die beleidigte erste Kammer. 
Rotteck aber verweigerte jede Genugtuung und rief unter donnerndem 
Beifall: „Zum Höfling bin ich verdorben, ich bin Volksvertreter !“ — 
ein geflügeltes Wort, das fortan auf zahllosen Ehrenbechern und Dank- 
adressen prangte. Schließlich mußte man sich doch zu einigen kleinen Zu- 
geständnissen an die Grundherren bequemen; der Fürst von Fürstenberg, 
ein feingebildeter, wohlwollender Aristokrat, vermittelte zwischen beiden 
Kammern. Zwei Ablösungsgesetze, über die Fronden und den Neubruch- 
Zehnten, kamen zustande, andere standen in sicherer Aussicht, und 
Rotteck behielt das Verdienst, der agrarischen Reform die Bahn gebrochen 
zu haben. 
Auch in minder wichtigen Fragen bekundete sich der Übermut 
der Liberalen. Auf ihr Verlangen mußte ein Zensor, der sich beim 
Schoppen einige offenherzige Worte über Ludwig Philipp und die Fran- 
zosen erlaubt hatte, sofort seines Amtes enthoben werden; jeder Zweifel an 
der Tugend des messianischen Freiheitsvolkes galt schon als Verrat. Die 
in Karlsruhe üblichen Motionen auf Beseitigung des Zölibats fehlten auch 
diesmal nicht, obwohl weder Rotteck noch irgendeiner seiner katholischen 
Freunde gesonnen war, der römischen Kirche den Gehorsam aufzusagen. 
Der allen liberalen Gemütern teure Verfassungseid des Heeres wurde 
ebenfalls gefordert, aber zum Glück noch abgewendet; nur die Offiziere 
erhielten durch eine neue Dienstpragmatik dieselbe rechtliche Stellung wie 
die übrigen Staatsdiener und „verwandelten sich also“, wie Rotteck rühmte, 
„aus willenlosen Waffenknechten oder blinden Werkzeugen der Gewalt in 
vaterländische Wehrmänner.“ Sehr stürmisch verliefen die Verhandlungen 
über die Ausgaben des Heerwesens. Großherzog Ludwig hatte jahrelang 
die Besoldungen des Chefs der Armee und des Kriegsministers für sich 
bezogen, und die Kammern waren bisher über dies unfürstliche Verhalten 
stillschweigend hinweggegangen, da der alte Herr jene beiden Amter in 
der Tat verwaltet hatte. Jetzt aber wurde die abgetane Sache mit 
großem Lärm ans Licht gezogen, der Kriegsminister sogar, wie es der 
Brauch des Tages war, mit einer Anklage bedroht. Itzstein entleerte 
einen Köcher voll vergifteter Pfeile gegen den Hof und schloß seine von 
Bosheit triefende Rede mit den erhabenen Worten: „Der jüngst ver- 
storbene Regent ruht im Grabe, als sprechender Beweis, daß Fürsten zu 
bloßem Staube zurückkehren wie ihre Untertanen.“ 
Das für die Zukunft folgenreichste Ereignis dieser Tagung war eine 
Motion Welckers auf „organische Entwicklung des Deutschen Bundes“.
	        
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