Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

18 IV. 1. Die Juli-Revolution und der Weltsriede. 
näckig beteuerten die Radikalen, die Vertreter des souveränen Volks hätten 
den König frei gewählt, obgleich er ein Bourbone sei; und in der Tat hatte 
er die Volkssouveränität anerkannt und feierlich ausgesprochen, daß er einen 
Vertrag, un pacte d'alliance mit der Nation geschlossen habe. Die neu— 
gestaltete Verfassung redete nach altem Brauche noch von der Erblichkeit 
der Krone; doch nachdem von den vier letzten Monarchen Frankreichs nur 
einer friedlich auf seinem Throne gestorben war, hatte diese Vorschrift bloß 
noch den Wert einer Redensart, und zum überfluß wurde die Charte aus— 
drücklich „dem Mute und der Vaterlandsliebe der Nationalgarde und aller 
französischen Bürger anvertraut“ — das will sagen: dieser König war 
verantwortlich und konnte von Rechts wegen entthront werden, falls das 
souveräne Volk die Charte für verletzt hielt. Er besaß die höchste Gewalt 
nur auf Wohlverhalten, trotz des monarchischen Prunkes, der ihn umgab; 
darum nannte Odilon Barrot den Bürgerkönig die beste der Republiken. 
In so schiefer Stellung konnte selbst ein Fürst von schlichtem Grad— 
sinn und reinem Namen dem Rufe der Zweizüngigkeit kaum entgehen; 
wie viel weniger dieser vielgewandte Orleans, an dessen Hause noch der 
schlimme Leumund des nichtswürdigen Regenten und des Bürgers Philipp 
Egalité haftete. Ludwig Philipp war in den Grundsätzen der wissens— 
stolzen Aufklärung erzogen und hatte nachher als General der Republik an 
der Schlacht von Jemappes teilgenommen. Als er dann auswanderte, 
da fügte es sein gutes Glück, daß er trotz wiederholter Bemühungen doch 
keinen Einlaß in die Heere der Verbündeten erhielt; so konnte er sich mit 
einigem Scheine späterhin rühmen, niemals im Lager der Feinde Frank- 
reichs gefochten zu haben. In den Jahren der Verbannung sammelte er 
auf weiten Wanderfahrten eine mannigfaltige Welt- und Menschenkennt— 
nis, aber er entwuchs auch gänzlich den überlieferungen des königlichen 
Hauses. Der Stolz des französischen Prinzen blieb ihm ebenso fremd 
wie das dynastische Pflichtgefühl; die Macht der Geschichte, das tausend- 
jährige Recht der Capetinger erweckte in dieser trockenen Seele gar keine 
Ehrfurcht. Sobald die Stunde der Rückkehr schlug, war er als sorgsamer 
Hausvater zunächst darauf bedacht, das ungeheure Hausvermögen der 
Orleans, das gutenteils aus den Mieten der Spielhöllen im Palais 
Royal entstanden war, zurückzugewinnen und seiner Familie auf alle Fälle 
ein ruhiges Hauswesen zu sichern. Darum wendete er sich im Jahre 1821 
insgeheim an Eugen Beauharnais und ließ ihm einen gegenseitigen Ver- 
trag vorschlagen, kraft dessen jeder von beiden, falls ihn bei einer neuen 
Revolution das Glück begünstigte, dem anderen ungestörten Aufenthalt in 
Frankreich versprechen sollte; der Napoleonide zeigte sich jedoch ritterlicher, 
als der Bourbone, er lehnte ab, weil er gegebenenfalls nur die Herr- 
schaft Napoleons II. ausrufen, also keine bindende Zusage geben könne.) 
  
*) An diesen Vorfall, dessen auch Du Casse (Mémoires du prince Eugene, X. 285).
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.