Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

304 IV. 5. Wiederbefestigung der alten Gewalten. 
verwandelt. Bei dem Aufstande selber waren sie gleichgültig geblieben; 
jetzt regte sich das Mitleid mit den politischen Verbrechern, das immer 
ein Zeichen ungesunder öffentlicher Zustände ist, und wer konnte auch den 
unglücklichen Studenten menschliche Teilnahme versagen? Ihre Verführer 
waren entkommen; sie aber, die von den Hintergedanken der polnischen 
Mitverschwornen wenig oder nichts wußten, büßten in endloser Unter- 
suchungshaft und lernten jenes aus Härte und Nachlässigkeit gemischte 
Regierungssystem, das unter der Frankfurter Oligarchie aufgeblüht war, 
mit allen seinen Sünden gründlich kennen. Im Verhöre verfuhren die 
Richter streng, oft roh; wer hartnäckig leugnete, wurde nach Karls V. 
Hochnotpeinlicher Halsgerichtsordnung, die in Frankfurt noch galt, mit 
außerordentlichen Strafen belegt. Um so gemütlicher ging es in den 
Kerkern zut die meisten der Gefängniswärter zeigten eine Weitherzigkeit, 
die nichts zu wünschen übrig ließ. Durch die lange Übung erlangten die 
jungen Herren eine erstaunliche Fertigkeit in allen kleinen Künsten des Ge- 
fangenenlebens. Sie besprachen sich untereinander durch Klopfen oder 
Pfeifen und unterhielten allesamt einen regelmäßigen Briefwechsel mit der 
Außenweltz sie verstanden meisterhaft, aus dem Morgenkaffee die kleinen in 
die Zuckerstücke eingebohrten Zettel herauszufischen und ihre Erwiderungen 
in den Pfropfen der geleerten Bierflaschen fortzusenden. In den Kuchen 
und Wecken, die ihnen von Frankfurter Gönnern verehrt wurden, fanden 
sich zuweilen Uhrfedersägen eingebacken. Die halbe Stadt beschäftigte sich 
mit dem Schicksal der verwegenen Jungen; keine Woche verging, wo man 
nicht von einem vergeblichen Fluchtversuch erzählte. Endlich an einem 
nebligen Oktoberabend gelang es dem Studenten Lizius, sich an einem 
Seile aus dem zerfeilten Fenstergitter herabzulassen; die Frankfurter Schild- 
wache dicht unter dem Fenster verließ ihren Posten, weil einige seiner 
Freunde mittlerweile eine Rauferei auf der Gasse veranstalteten. So 
entkam er glücklich, und jubelnd sangen die Gassenbuben hinter den Se- 
natoren her: „O Polizei, wie viel Verdruß macht dir Studiosus Lizius!“ 
Dies neue Probestück frankfurtischer Kriegstüchtigkeit erfüllte den Bun- 
destag mit gerechter Besorgnis. General Piret war schon längst in Ver- 
zweiflung über das souveräne Stadtkommando neben ihm, das ihn von 
den Ruhestörungen nicht einmal benachrichtigte. Der Militärausschuß 
des Bundes beriet schon ein neues Reglement, und da jetzt Gefahr im 
Verzuge schien, so beschleunigte er seine Arbeiten, soweit am Bundestage 
Eile möglich war. Am 16. Jan. 1834, dritthalb Monat nach jener ver- 
hängnisvollen Flucht, wurden seine Vorschläge der Bundesversammlung 
zur Abstimmung unterbreitet. Der Ausschuß beantragte nur, was sich in 
jedem andern Heere von selbst verstanden hätte: die Frankfurter Linien- 
truppen sollten mit den Österreichern und den Preußen zu einem Sicher- 
heitskorps unter Pirets Führung vereinigt, und im Falle der Not auch 
die Stadtwehr dem kommandierenden General untergeordnet werden. Kaum
	        
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