Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

326 IV. 5. Wiederbefestigung der alten Gewalten. 
ihm diesmal zum Unsegen. Keine der Mächte, welche den Bestand des 
türkischen Staates ehrlich wünschten, beurteilte die Lage richtig. Preußen 
blieb nach seiner alten Gewohnheit den türkischen Händeln fern, solange 
sie nicht unmittelbar den Weltfrieden bedrohten. Palmerston verstand von 
orientalischer Politik nicht das mindeste und versäumte ratlos den rechten 
Augenblick. Metternich aber zeigte sich wieder einmal unfähig, die Mächte 
des Werdens in der Geschichte zu würdigen, und legte den Zollstock seiner 
legitimistischen Doktrin auch an die Politik des Morgenlandes; wie er einst 
in den Griechen nur Empörer gesehen hatte, so verdammte er jetzt un— 
bedingt „die durchaus umstürzlerischen Absichten Mehemed Alis“ und er— 
klärte „die reine Verdammung der Revolution“ für den leitenden Gedanken 
jeder „gesunden Politik“. Niemals wollte er den Vermittler spielen zwischen 
einem Rebellen und einem rechtmäßigen Souverän. Er atmete auf, als 
auch der Zar seine Entrüstung über den ägyptischen Aufrührer kundgab, 
und war nunmehr von Rußlands lauteren Absichten so fest überzeugt, 
daß er jedes Bedenken fast wie eine persönliche Beleidigung betrachtete. 
„Wenn unser Kabinett beruhigt ist,“ schrieb er tief gekränkt nach Paris, 
„so haben andere Kabinette nicht das Recht, Zweifel zu hegen.“ Die un— 
klare Politik des Julikönigtums mußte den Wiener Hof in seiner Ver— 
blendung bestärken. Man wünschte in Paris die Erhaltung der Türkei, 
aber man wollte auch den Ägypter nicht ganz preisgeben, da das Nilland 
von alters her zu Frankreichs natürlichem Machtgebiete gerechnet wurde, 
und erging sich daher in ungeschickten Vermittelungsversuchen, welche dem 
österreichischen Staatskanzler nur von neuem zu beweisen schienen, daß 
die Revolutionäre am Nil wie an der Seine allesamt an demselben 
Strange zögen. 
Der Petersburger Hof allein wußte, was er wollte; er weigerte sich, 
an einer gemeinsamen Einmischung teilzunehmen, und bot dem Sultan, 
als die Gefahr aufs höchste gestiegen war, seine Waffenhilfe an. Dankbar 
ergriff Machmud die Hand des großmütigen Beschützers. Ein russisches 
Heer landete an der asiatischen Küste gegenüber der Hauptstadt, die Be— 
lagerung von Antwerpen ward durch einen Meisterzug der Petersburger 
Politik wett gemacht und in den Schatten gestellt. Unter freundlicher 
Mitwirkung seines nordischen Gönners schloß nun der Sultan mit den 
Ägyptern einen Frieden, der allen Herzenswünschen der russischen Politik 
Genüge tat. Mehemed Ali erhielt für Ibrahim die erbliche Statthalter— 
schaft über Syrien; selbst das Tor Kleinasiens, Cilicien, und die für den 
Flottenbau unentbehrlichen Gebirgswälder des Paschaliks von Adana wurden 
ihm abgetreten. Die Macht der Pforte erlitt also eine schwere Einbuße, 
aber dafür zogen sich die Empörer aus dem eroberten Innern Kleinasiens 
zurück, und statt des gefürchteten Agypters herrschte der russische Gesandte 
im Rate der hohen Pforte; er sorgte dafür, daß alle Reformen, die dem 
Staate vielleicht noch aufhelfen konnten, fortan unterblieben.
	        
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