372 IV. 6. Der Deutsche Zollverein.
wohl war der unmittelbare Vorteil fast ausschließlich auf Sachsens Seite;
in Preußen erhoben sich ernste staatswirtschaftliche und finanzielle Be-
denken. Preußen gewann in Sachsen nur einen kleinen Markt, der
überdies durch seinen eigenen Gewerbfleiß schon reichlich versorgt war.
Da die Lebenshaltung und demnach der Arbeitslohn im Erzgebirge niedriger
stand als in irgendeinem anderen Industriebezirke, so fürchteten die preu-
ßischen Fabriken, vornehmlich die Webereien und Druckereien in Schlesien
und in der Provinz Sachsen, der sächsischen Konkurrenz zu erliegen. Von
allen Seiten her wurde das Finanzministerium mit Warnungen bestürmt;
am Niederrhein rief die erste Nachricht von dem Beginn der preußisch-
sächsischen Verhandlungen weithin im Lande eine starke Aufregung her-
vor.5) Die Frage, wie ein großer Meßplatz einem Zollsysteme sich einfügen
lasse, galt noch allgemein als ein fast unlösbares Problem; sie war bei
den Verhandlungen mit Bayern-Württemberg oft erörtert und endlich
zur Seite geschoben worden, da man an der Verständigung verzweifelte.
An der sächsisch-böhmischen Grenze hatte sich ein ungeheurer Schmuggel
festgenistet; das Volk nahm den elenden Zustand hin wie eine Notwen-
digkeit, ja wie einen Segen. Selbst Lindenau wagte nach dem Abschluß
des Zollvereins im Gespräche mit Blittersdorff nur die schüchtern zweifelnde
Bemerkung: daß der Schmuggel im Erzgebirge jetzt aufhören wird, „ist
wohl schwerlich ein Unglück“.) Die hochherzige Gesinnung des neuen
Mitregenten, des Prinzen Friedrich August, wurde in Berlin ebenso bereit-
willig anerkannt, wie die Einsicht der trefflichen Männer, die er in sein
Kabinett berufen. Doch ein volles Jahr verfloß, bis die Ordnung in dem
aufgeregten Ländchen sich wieder befestigte, Maassen fragte besorgt, ob
eine Regierung, die den schwächlichen Aufläufen in Leipzig und Dresden
so wenig nachhaltigen Widerstand entgegengestellt, auch den festen Mut
besitzen werde, die Schmuggelnester im Gebirge auszuheben. Und lehrte
denn nicht der Gang der Verhandlungen, daß die neue Regierung das
alte kleinliche Mißtrauen gegen Preußen nicht gänzlich über Bord geworfen
hatte? Man kam in Berlin nicht los von dem Argwohn, Sachsen würde
einen Zollverein mit Österreich vorziehen, wenn nur die Hofburg mehr
böte als leere Redensarten. Wenn König Friedrich Wilhelm keinen deut-
schen Staat locken und einladen wollte, so doch am allerwenigsten diesen
sächsischen Hof, der als Stifter des mitteldeutschen Vereins eine so bösartige
Gehässigkeit zur Schau getragen hatte. Der preußische Konsul Baumgärtner
empfing einen herben Verweis, als er zu Anfang 1830 eine Flugschrift
über die Notwendigkeit eines sächsisch-preußischen Zollbundes schrieb und
in Sachsen verbreitete.
*) Bericht des Reg.-Präsidenten von Düsseldorf an das Finanzministerium, 6. Fe-
bruar 1831.
**) Blittersdorffs Bericht, 23. Aug. 1833.