548 IV. 8. Stille Jahre.
ihre Erinnerungsfeste hielten. Im Gürzenich zu Köln waren ihrer drei-
hundert versammelt, General Pfuel kommandierte den Aufmarsch, Immer-
mann feierte in einem schwungvollen Festgedichte die silberne Hochzeit des
Volkes in Waffen: „Borussia blieb frisch und schön, und unser Mut
blieb auch bestehn.“ Als darauf der alte Arndt, feierlich eingeladen, im
Saale erschien, da drängten sich die Generale und die hohen Beamten
mit warmen Grüßen zu dem bescholtenen Demagogen. Gleichwohl blieb
auch dies volkstümlichste aller Heere von der Schlaffheit der langen
Friedenszeit nicht unberührt. Geborene Helden wie Hauptmann Moltke
und Leutnant Göben vermochten das mechanische Einerlei des Garnison-
dienstes auf die Dauer nicht zu ertragen und suchten sich im Auslande
ein Ziel für ihren Tatendrang. Gemeine Naturen verführte die ewige
Langeweile zu Verirrungen, selbst zu Verbrechen. Im Jahre 1837 wurde
der Fähnrich von Arnstedt vom Leibregimente, der seinen Vorgesetzten
ermordet hatte, zu Frankfurt a. O. mit dem Beile hingerichtet, und die
strenge, durchaus gerechte Strafe erregte in der vornehmen Frauenwelt
viel schwächliches Mitleid. Ernste Männer aber fühlten, daß sich in
solchen Freveln nur das allgemeine Leiden der müden Zeit verriet: die
unbändige Jugend wußte in dem eintönigen Leben gar nichts mehr mit
sich anzufangen.
Den denkenden älteren Offizieren hingegen brachten diese stillen Jahre
ein unschätzbares Geschenk, das nachgelassene Buch des Generals Clause-
witz „Vom Kriege“. Es war das theoretische Vermächtnis der Befreiungs-
kriege, das Meisterwerk der Militärwissenschaft des Jahrhunderts. Jene
politische Auffassung des Krieges, welche Napoleon, Scharnhorst, Gneisenau
einst durch Taten bewährt hatten, wurde hier mit durchsichtiger Klarheit
wissenschaftlich begründet: der Krieg ist die gewaltsame Form der Politik,
das Mittel, um dem Feinde unseren politischen Willen aufzuzwingen, sein
nächster Zweck also die Vernichtung der feindlichen Streitmacht. Aus
diesem Vordersatze ergab sich dann Schlag auf Schlag die Unhaltbarkeit
jener alten, bisher noch immer nicht ganz beseitigten Doktrinen, welche in
kunstvollen Manövern, in der Besetzung von Wasserscheiden und Gebirgs-
kämmen, in der Benutzung der inneren Operationslinien die Aufgabe des
Feldherrn suchten. Dann und wann schien Clausewitz selbst noch in diese
Anschauungen einer überwundenen Vergangenheit zurückzufallen und die
Verteidigung als die sicherere Form des Kampfes zu überschätzen; schließlich
kam er doch immer wieder auf den Satz zurück, daß der positive Zweck
des Krieges sich nur durch den Angriff erreichen lasse. Einen von vorn-
herein gefaßten, streng festgehaltenen Kriegsplan erklärte er für unmöglich,
weil dem Feldherrn stets der lebendige Wille des Feindes gegenüberstehe;
jeder Korpsführer müsse vielmehr entschlossen sein, auf eigene Gefahr den
Feind aufzusuchen, dem Donner der Kanonen entgegenzuziehen. Das
schöne Kapitel über den Kriegsplan und „die absolute Gestalt des Krie-