Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

562 IV. 8. Stille Jahre. 
niedersten Schichten der Gesellschaft an, sie rechtfertigte hier wie überall 
den Namen der Proletarier und vermehrte sich schneller als der deutsche 
Mittelstand. 
So geschah es, daß die deutsche Gesittung trotz der beträchtlichen Ein- 
wanderung doch nur langsam vorwärts schritt, und ungeduldige Deutsche 
schon an schärfere Mittel dachten. General Grolman empfahl gleich nach 
dem polnischen Aufstande die Vernichtung der Provinz Posen, dergestalt 
daß ihre Trümmerstücke den drei benachbarten treuen Provinzen zugeteilt 
würden; und der vom Bundestag her bekannte Legationsrat Küpfer, ein 
geborener Posener, riet der Krone, unter der Oberleitung einer königlichen 
Immediatkommission eine große Aktiengesellschaft zu bilden, welche den ge- 
samten Grundsitz des polnischen Adels aufkaufen sollte.') Es war der 
Schatten kommender Ereignisse; das gegenwärtige Geschlecht mit seinem 
knappen Staatshaushalte konnte sich so kühner Pläne nicht unterwinden. 
Aber der Zustand in der Provinz ward immer unleidlicher. Die beiden 
Nationen haßten sich nicht nur, sie verachteten einander auch; wie der 
Deutsche alle Niedertracht und Unredlichkeit mit dem Worte „polnische 
Wirtschaft“ bezeichnete, so konnte sich der Pole den sparsamen Ordnungs- 
sinn der Deutschen nur aus einem angeborenen Bedientengeiste erklären. 
Niemandempfanddiese Verschärfungder nationalen Gegensätze schmerz- 
licher als die wenigen vornehmen Polen, welche weder ihr Volkstum ver- 
raten, noch von dem preußischen Staate abfallen wollten. So der alte 
tapfere General Chlapowski und der bestgebildete Mann unter den preu- 
ßischen Polen, Graf Eduard Raczynski. Wie viele Arbeit hatte der kunst- 
sinnige Graf ausgewendet, um sein Heimatland zu bilden und zu schmücken; 
er hatte der Stadt Posen ihre schöne Bibliothek und ihre Wasserleitung 
geschenkt; er bemühte sich, durch eine landwirtschaftliche Schule, durch eine 
Zuckerfabrik, durch Verbesserungen der Technik des Landbaues seine Stan- 
desgenossen zu geregelter Tätigkeit zu ermutigen, und mußte doch erleben, 
daß seine gesamte Verwandtschaft sich in Verschwörungspläne verlor, die 
er weder fördern noch hindern wollte. Unter so schwierigen Verhältnissen 
führte das preußische Beamtentum den Markmannenkrieg für unser Volks- 
tum, für Recht und gute Menschensitte, und bei diesen Kämpfen war ihm 
Deutschlands öffentliche Meinung entschieden feindlich. Wenn eine liberale 
Zeitung sich ja einmal herabließ, der friedlichen Eroberungen in der deutschen 
Ostmark zu gedenken, so brachte sie einen Aufsatz aus der Feder eines un- 
zufriedenen polnischen Edelmanns, der die Befreiung des Posener Land- 
volks als eine preußische Gewalttat verunglimpfte. — 
In den anderen Provinzen des Ostens wurde das Stilleben dieser 
Jahre fast allein durch kirchliche Wirren gestört. In Königsberg hielt die 
*) Küpfer, Denkschrift über die Germanisierung des Großherzogtums Posen. An 
Lottum überreicht 27. Jan. 1838.
	        
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