Die Geächteten in Paris. 607
hörden glaubten, es gebe ihrer zweihundert.) Metternich pflegte die Dema-
gogen jetzt nur noch die Alten vom Berge zu nennen, und allerdings,
wer die Programme dieser Geheimbündler wörtlich nahm, konnte nicht be-
zweifeln, daß sie auf den Fürstenmord und die allgemeine Revolution aus-
gingen.
Das „Glaubensbekenntnis eines Geächteten“ und dessen Umschrei-
bung, „die Erklärung der Menschen= und Bürgerrechte“ begannen mit
dem Satze: „Der Herr schuf alle Menschen nach seinem Bilde, er schuf
sie alle gleich. Sonach bleibt nur die demokratische Republik übrig.“ Sie
verherrlichten den Widerstand, der die Unterdrücker zu Boden schlage, als
„die heiligste und dringendste Pflicht der Bürger“ und sagten schon, frei-
lich nur in bescheidenen Andeutungen: die Gleichheit der Rechte fordere
auch „Annäherung der Gleichheit in den äußeren Verhältnissen“, also
Steuerfreiheit der kleinen Leute, Progressivsteuer, öffentliche Unterstützung
der Arbeiter. Zu den Mitgliedern zählte auch der Student Carl von Bruhn,
in späteren Jahren ein eifriger Genosse Lassalles. Die Zeitschrift des Ver-
eins „Der Geächtete“ wurde von Jakob Venedey herausgegeben, der selber
nicht der extremen Richtung der Demokratie angehörte, aber nach der Weise
beschränkter Köpfe jedes rohe Wort seiner Mitarbeiter willkommen hieß.
Er glaubte, wie sein Abgott Börne, die Vaterlandsliebe durch unbändiges
Schimpfen betätigen zu müssen: „Deutschland war seit Jahrhunderten
das Land, von dem die Sklaverei über Europa ausging, und es ist noch
heute also.“ An der Knechtschaft der Polen, der Ungarn, der Italiener,
sogar der Griechen und Spanier sollten allein die Deutschen schuld sein;
doch „die unendliche Staatsschuld wird abgetragen und die Schande Deutsch-
lands gesühnt, gerächt werden“. So wunderbar hatten sich die Zeiten
geändert: diesem neuen Burschenschafter erschien der Befreiungskrieg als
eine Narrheit; mit wütenden Schmähungen schalt er auf Arndt und die
anderen Freiwilligen von 1813, die jetzt nur Knechte des Absolutismus
seien.
In dem nichtsnutzigen Müßiggange dieses Verschwörerlebens konnten
persönliche Zänkereien nicht ausbleiben. Nicht lange, so sonderte sich von
dem Bunde der Geächteten ein Bund der Gerechten ab, nachher noch ein
Bund der Deutschen und ein Bund der Kommunisten. Um das Jahr
1836 ging einer der Genossen, Schapper, nach London und stiftete dort
den radikalen Arbeiterverein, der noch heute als Brutnest der Sozial-
demokratie besteht. Das Junge Deutschland verlegte seinen Hauptsitz aus
der Schweiz ebenfalls an die Themse, und da England alle politischen Ver-
schwörungen gegen das Ausland grundsätzlich unverfolgt ließ, so entstand
dort nach und nach noch eine Anzahl anderer deutscher Geheimbünde, die mit
Mazzinis Jungem Italien, mit der französischen Gesellschaft der Menschen-
*) Mühlers Denkschrift über den Bund der Geächteten, 12. Nov. 1840.