Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Die Geächteten in Paris. 607 
hörden glaubten, es gebe ihrer zweihundert.) Metternich pflegte die Dema- 
gogen jetzt nur noch die Alten vom Berge zu nennen, und allerdings, 
wer die Programme dieser Geheimbündler wörtlich nahm, konnte nicht be- 
zweifeln, daß sie auf den Fürstenmord und die allgemeine Revolution aus- 
gingen. 
Das „Glaubensbekenntnis eines Geächteten“ und dessen Umschrei- 
bung, „die Erklärung der Menschen= und Bürgerrechte“ begannen mit 
dem Satze: „Der Herr schuf alle Menschen nach seinem Bilde, er schuf 
sie alle gleich. Sonach bleibt nur die demokratische Republik übrig.“ Sie 
verherrlichten den Widerstand, der die Unterdrücker zu Boden schlage, als 
„die heiligste und dringendste Pflicht der Bürger“ und sagten schon, frei- 
lich nur in bescheidenen Andeutungen: die Gleichheit der Rechte fordere 
auch „Annäherung der Gleichheit in den äußeren Verhältnissen“, also 
Steuerfreiheit der kleinen Leute, Progressivsteuer, öffentliche Unterstützung 
der Arbeiter. Zu den Mitgliedern zählte auch der Student Carl von Bruhn, 
in späteren Jahren ein eifriger Genosse Lassalles. Die Zeitschrift des Ver- 
eins „Der Geächtete“ wurde von Jakob Venedey herausgegeben, der selber 
nicht der extremen Richtung der Demokratie angehörte, aber nach der Weise 
beschränkter Köpfe jedes rohe Wort seiner Mitarbeiter willkommen hieß. 
Er glaubte, wie sein Abgott Börne, die Vaterlandsliebe durch unbändiges 
Schimpfen betätigen zu müssen: „Deutschland war seit Jahrhunderten 
das Land, von dem die Sklaverei über Europa ausging, und es ist noch 
heute also.“ An der Knechtschaft der Polen, der Ungarn, der Italiener, 
sogar der Griechen und Spanier sollten allein die Deutschen schuld sein; 
doch „die unendliche Staatsschuld wird abgetragen und die Schande Deutsch- 
lands gesühnt, gerächt werden“. So wunderbar hatten sich die Zeiten 
geändert: diesem neuen Burschenschafter erschien der Befreiungskrieg als 
eine Narrheit; mit wütenden Schmähungen schalt er auf Arndt und die 
anderen Freiwilligen von 1813, die jetzt nur Knechte des Absolutismus 
seien. 
In dem nichtsnutzigen Müßiggange dieses Verschwörerlebens konnten 
persönliche Zänkereien nicht ausbleiben. Nicht lange, so sonderte sich von 
dem Bunde der Geächteten ein Bund der Gerechten ab, nachher noch ein 
Bund der Deutschen und ein Bund der Kommunisten. Um das Jahr 
1836 ging einer der Genossen, Schapper, nach London und stiftete dort 
den radikalen Arbeiterverein, der noch heute als Brutnest der Sozial- 
demokratie besteht. Das Junge Deutschland verlegte seinen Hauptsitz aus 
der Schweiz ebenfalls an die Themse, und da England alle politischen Ver- 
schwörungen gegen das Ausland grundsätzlich unverfolgt ließ, so entstand 
dort nach und nach noch eine Anzahl anderer deutscher Geheimbünde, die mit 
Mazzinis Jungem Italien, mit der französischen Gesellschaft der Menschen- 
  
*) Mühlers Denkschrift über den Bund der Geächteten, 12. Nov. 1840.
	        
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