Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Gregor XVI. und der belgische Klerus. 685 
lich verschwanden, um nachher unter den Rotröcken des römischen Ger— 
manicums wieder aufzutauchen; kehrten sie dann heim, so waren ihre 
Münchner Abgangszeugnisse, dank den unbekannten bayrischen Gönnern, 
stets in bester Ordnung. 
Durch den glänzenden Sieg, welchen der römische Stuhl auf dem 
alten Schlachtfelde der Konfessionen, in Belgien erfochten hatte, war das 
Selbstvertrauen der Klerikalen überall mächtig angewachsen; sie nannten 
sich jetzt selbst die ultramontane Partei, und der Name ist ihnen fortan 
geblieben. Welch ein unermeßlicher Vorteil, daß man fortan triumphierend 
auf jenes Land verweisen konnte, das von den kurzsichtigen Liberalen als 
ein Musterstaat gefeiert wurde: die Alleinherrschaft der römischen Kirche 
war also mit konstitutioneller Freiheit nicht unvereinbar! Der belgische 
Klerus verleugnete seine hispanische Schule nicht; seine Sprache gegen 
die evangelische Kirche ward immer dreister und drohender. Einer der 
flandrischen Bischöfe, van der Velde, warnte seine gläubige Herde in einem 
Hirtenbriefe vor den Verführern, welche das katholische Volk in der Fasten- 
zeit zu Tanzvergnügungen, zum Besuche unzüchtiger Schauspiele und zum 
Lesen der heiligen Bücher in der Volkssprache verleiteten; durch solche 
Mittel suchten die Bibelgesellschaften die Gewissen zu betören, „wie ihre 
würdigen Muster im sechzehnten Jahrhundert mit so sehr zu beklagendem 
Erfolge getan!“ Solange die französische Revolution den Klerus unter- 
drückte und beraubte, stand die Kurie im Lager der konservativen Höfe; 
jetzt aber erhoben sich überall revolutionäre Mächte, welche der Kirche 
günstig schienen, und sofort zeigte sich, daß die römische Politik nur kirch- 
liche Ziele verfolgen darf, mithin alle politischen Parteien lediglich als 
Mittel behandeln kann. In Belgien stand die Klerisei an der Spitze der 
Rebellen, und sobald sie die Teilung der Niederlande durchgesetzt, wußte 
sie alle die konstitutionellen Freiheiten, welche der römische Stuhl so oft 
verdammthatte, die Freiheit der parlamentarischen Rednerbühne, der Presse, 
der Vereine mit großem Geschick für ihre Zwecke auszunutzen. In Polen 
wie in Irland schürten die Ultramontanen den Aufruhr; auch in Frank- 
reich hielten sie sich bereit, jederzeit mit der radikalen Opposition zusammen- 
zugehen, weil sie trotz der Nachgiebigkeit, welche Ludwig Philipp ihnen er- 
wies, den durchaus unkirchlichen Charakter dieses Bürgerkönigtums richtig 
erkannten. Am allerwenigsten wollten sie die alte Pfaffengasse des deut- 
schen Reichs dem Staate gönnen, den sie mit Recht für die Vormacht des 
festländischen Protestantismus hielten. Allen Rheinländern war wohlbe- 
kannt, daß überall geheime Späher des römischen Stuhles und der bel- 
gischen Ultramontanen das Verhalten des Klerus sorgfältig belauerten und 
jeden Mißgriff der Regierung ausbeuteten; manche Heißsporne empfahlen 
die Vereinigung des Rheinlands mit dem katholischen Belgien, andere 
wünschten das fromme Haus Wittelsbach, das zwei Jahrhunderte hindurch 
in Düsseldorf und in Köln geherrscht hatte, an den Rhein zurückzuführen.
	        
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