Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

XXIII. Stimmungen der württembergischen Opposition. 1838. 749 
komme nicht durch die Gitteröffnungen hindurch, er sei zu dick. Als ich mit allem fertig 
war, stieg ich durch die Gitter in den Kasten vorm Fenster, machte dann das Draht- 
gitter über dem Kasten los und band den Strick im Kasten sitzend fest. Während der 
ganzen Zeit besorgten unsere Freunde, daß fortwährend Rollwagen auf der Zeil hin 
und herfuhren, die einen argen Lärm machten, damit man unsere Arbeiten nicht hören 
könne. Weiter bekamen die Soldaten in der Wachtstube, ich weiß nicht unter welchem 
Vorwand, so reichlich Wein zu trinken, daß sie betrunken wurden. Jetzt, als die Stunde 
ausgeschlagen hatte, stieg ich aus dem Kasten auf das Gesimse und hing mich an den 
Strick —, und als ich am zweiten Tag wieder zum Bewußtsein kam, sah ich mich wieder 
im Gefängnis mit Kopsschmerz und Kopfwunden und einem Bruch des Schenkelhalses. 
Der schlecht gemachte Strick war ganz oben gerissen und ich war auf die Straße gestürzt. 
Die betrunkenen Soldaten hatten mich wahrscheinlich noch mißhandelt und hatten blind 
unter die herzugelaufene Menge geschossen, einige verwundet und einen gegenüber woh- 
nenden Bürger erschossen. Nur einem von uns Studenten, ich hörte Lizius, gelang die 
Flucht; die andern waren zum Teil auch herabgestürzt und alle wieder sofort eingefangen 
worden. Ich lag nun schwerkrank zu Bett an Hirnerschütterung, massenhaftem Blut- 
brechen usw. Der Hausarzt, Physikus Kestner, behandelte mich sehr sorgfältig; mit 
Zuzug eines Chirurgen wurde mir eine Hagedornsche Maschine an den gebrochenen 
Fuß gelegt, und ich bekam einen Krankenwärter. Am 6. Mai kam mein Bruder nach 
Frankfurt und tat alle möglichen Schritte mich besuchen, oder nur von weitem sehen 
zu dürfen. Das Appellationsgericht beschloß in gar nichts zu willfahren. Mein Bru- 
der war umsonst gekommen. Am 13. Mai, als ich außer Gefahr war, wurde ich über 
den Fluchtversuch verhört. Ich sollte sagen, woher ich die Feilen bekommen usw. — ich 
gab darauf keine Antwort; ebenso machten es die andern Wieder--Inhaftierten und die 
Untersuchung ergab gar keinen Anhaltspunkt gegen unsere Freunde draußen. — Die 
Heilung des Knochenbruchs ging gut vor sich und nach zwei Monaten konnte ich auf- 
stehen und Gehversuche machen. Der Bruch war geheilt mit Verkürzung des Fußes um 
nur etwa einen halben Zoll, was später sich ausglich — ohne Hinken. Das Appellations- 
gericht hatte verfügt, daß den Ausgebrochenen über Nacht Ketten angelegt werden sollten, 
um weitere Fluchtversuche zu verhindern. Wiederholt hatte die Untersuchungsbehörde 
beim Arzt angefragt, ob mir noch nicht Ketten angelegt werden könnten. Jetzt geschabh 
das, ich bekam Ketten an den linken Fuß und den rechten Arm — eine abscheuliche 
Barbarei; denn ich mußte erst gehen lernen und konnte mindestens noch ein Vierteljahr 
lang nur mit Krücken gehen. Und die nächtlichen Ketten blieben, solang ich in Frank- 
furt gefangen war. 
  
XXIII. Stimmungen der württembergischen Opposition. 1838. 
Zu Bd. IV. 627 . 
Die Gesinnungen der schwäbischen Liberalen zu Ende der dreißiger Jahre finden 
beredten Ausdruck in einem Briefe, welchen Fr. Römer an einen seiner Geißlinger Wähler 
richtete. Die Hauptstellen lauten: 
Geehrter Herr! . lber meine Leistungen brauche ich mich nicht besonders zu 
äußern, da Sie wenigstens meine Abstimmungen und somit den Geist meiner Tätigkeit 
aus den öffentlichen Blättern kennen gelernt haben werden. Ebenso wenig brauche 
ich Ihnen die Versicherung zu geben, daß meine Abstimmungen stets die Frucht meiner 
Überzeugung gewesen sind. 
Ob sie auch mit den Ansichten meiner Wähler übereinstimmen?.. ich weiß es 
nicht, aber ich schmeichle mir, in ihrem Sinne gesprochen und gehandelt zu haben.
	        
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