Bunsens Denkschrift über den Kirchenstaat. 69
Theokratie ist Kastenherrschaft; die unerläßliche Vorbedingung aller Re-
formen, die Gleichstellung der Laien durfte der gekrönte Priester nicht
im Ernst zugestehen.
Unterdessen forderte Frankreich, im Namen der heiligen Nichtein-
mischungslehre, laut und lauter die Räumung des Kirchenstaates, obgleich
der Papst selber das längere Verweilen der Besatzungstruppen dringend
wünschte und jedermann in Bälde einen zweiten Aufstand erwartete.
Über den langwierigen gereizten Verhandlungen rückte endlich der Tag
heran, da die Pariser Kammern wieder zusammentreten sollten. Da
spielte Ludwig Philipp den letzten Trumpf aus, der ihm fortan immer
zu seinen Scheinerfolgen verhelfen mußte; er erklärte: wenn Osterreich
nicht rechtzeitig die Romagna räume, dann könne er die Leidenschaften
seiner Volksvertreter nicht mehr zurückhalten, und der Krieg werde un-
vermeidlich. Nunmehr gab Metternich in der Form nach, da er doch
seinen wesentlichen Zweck erreicht hatte. Die kaiserlichen Truppen zogen
im Juli ab, aber zugleich schloß Graf Lützow mit der dankbaren Kurie
einen geheimen Vertrag, kraft dessen Osterreich sich verpflichtete, die Sou-
veränität des Papstes unter allen Umständen aufrecht zu erhalten, also
beim nächsten Aufstande den Kirchenstaat sogleich wieder zu besetzen. Für
diesen Fall erbat sich Metternich jetzt schon vorsorglich Preußens und
Rußlands Unterstützung.) Siegesfroh erzählten die Minister des Bürger-
königs der tiefen Unwissenheit ihrer Abgeordneten das Märchen, daß Frank-
reich den Papst von dem kaiserlichen Joche befreit habe. In Wahrheit stemmte
der Kaiserstaat fester denn jemals seinen Fuß auf Italiens Nacken. Das
buhlerische Spiel der Orleans mit den Geheimbünden der Revolution trieb
alle Fürsten der Halbinsel, auch den unberechenbaren Karl Albert dem
Wiener Hofe in die Arme; in den nächsten Jahren blieb ÖOsterreich unbe-
stritten die Vormacht Italiens. Unter der Jugend des Landes aber wendeten
sich schon einzelne helle Köpfe, wie Graf Camillo Cavour, den konstitutio-
nellen Ideen des neuen Frankreichs zu; und ebenso folgenreich ward es für
eine ferne Zukunft, daß Ludwig Napoleon hier zuerst in die Gesellschaft der
Demagogen eintrat. Der Prinz verlor während jener Wirren in der Ro-
magna seinen älteren Bruder durch den Tod, und als bald darauf (Juli
1832) auch der Herzog von Reichstadt starb, da gingen die Erbansprüche
des napoleonischen Hauses auf diesen jungen Schweiger über. Der kriege-
rische Bonapartismus war mit dem stolzen König von Rom ins Grab ge-
sunken; der neue Prätendent ging die stillen Wege des Verschwörers. —
Auch in der Schweiz fand die Julirevolution ein Nachspiel. Nicht
umsonst hatten die Eidgenossen während der müden Jahre der Restaura-
tion ein von außen her ungestörtes Stilleben geführt; sie zeigten sich
jetzt bei weitem weniger abhängig von den Pariser Ideen als einst, da
) Metternich an Trauttmansdorff, 5. Sept. 1831.