Die Königswahl in Brüssel. 73
junge Herzog von Leuchtenberg, und augenblicklich änderte sich die Haltung
des französischen Hofes. Sobald es galt, den furchtbaren Namen der
Napoleons aus dem Wege zu schaffen, war den Orleans kein Mittel zu
verächtlich. Bresson und Lawoestine, Ludwig Philipps Bevollmächtigte in
Brüssel, gaben nunmehr unter der Hand die heilige Versicherung, der
König werde seinem Sohne die Thronbesteigung gestatten; so gewannen
sie van de Weyer, Nothomb und mehrere andere der fähigsten Mitglieder
des Hauses. Am 3. Februar wählte der Kongreß mit einer Mehrheit
von zwei Stimmen den Herzog von Nemours zum König der Belgier.
Das Gaukelspiel der Orleans hatte seinen Zweck erreicht, der
Napoleonide war beseitigt; und da überdies die Londoner Konferenz
mittlerweile den verständigen Beschluß gefaßt hatte, daß kein Mitglied
eines der fünf großen Herrscherhäuser die Krone des neutralen Staates
tragen dürfe, so empfingen die Abgesandten des belgischen Kongresses
im Palais Royal eine runde Absage. Der Bürgerkönig hielt ihnen eine
von tugendhaften Gemeinplätzen strotzende Rede und beteuerte den Tief-
gerührten, dem Beispiele Ludwigs XIV. und Napoleons wolle er nicht
folgen.
Begreiflich genug, daß nach solchen Proben französischer Recht-
schaffenheit die Kriegspartei in Berlin immer wieder ihre Stimme erhob.
Mit allen hochkirchlichen Schlagworten der Hallerschen Staatslehre beschwor
Herzog Karl von Mecklenburg seinen königlichen Schwager, die Monarchie
von Gottes Gnaden zu verteidigen wider den treulosen Aufruhr: „Wie
ein Vater seine Kinder regieret und leitet, die ihm die Gnade Gottes ge-
geben hat, so soll ein König der Vater seiner Völker sein, ein Gott auf
Erden, verantwortlich dem Allerhöchsten, der ihm die Macht verlieh und
die Völker anvertraute.“ Solche Stilübungen konnten Bernstorffs Nüch-
ternheit nicht beirren; sie ärgerten selbst den Fürsten Wittgenstein, der
überhaupt in dieser Krisis den Parteimann ganz verleugnete und die
Friedenspolitik des Königs treulich unterstützte.“) Noch weniger fiel die
Stimme des alten Hans von Gagern ins Gewicht, als er in den „Vater-
ländischen Briefen“ der Allgemeinen Zeitung das unantastbare Recht des
Hauses Oranien verteidigte; der wunderliche Reichspatriot hatte einst bei
der Gründung des niederländischen Gesamtstaates nur zu eifrig mit-
geholfen und betrachtete jetzt den Zerfall seines kunstvollen Gebildes wie
eine persönliche Demütigung. Bedenklicher war, daß die Bewohner des
linken Rheinufers für ihre Sicherheit besorgt wurden. Eine geschlossene
französische Partei bestand im preußischen Rheinlande längst nicht mehr,
dank den unverkennbaren Wohltaten der neuen Verwaltung. Jedoch das
Zutrauen zu der Dauer der deutschen Herrschaft hatte sich noch nicht
*) Herzog Karl von Mecklenburg, Denkschrift über die Kriegsfrage, März 1831.
Wittgenstein an Bernstorff, 27. März 1831.