106 V. 2. Die Kriegsgefahr.
sie gänzlich aufzulösen, schien den Wiener Staatsmännern zu gefährlich.
Er ließ dabei die Hoffnung aussprechen, die Heimkehr der Mitglieder der
Zentralbehörde werde „als ein neues sicheres Zeichen einer günstigeren
Gestaltung der Dinge und des Vertrauens der Regierungen“ in ganz
Deutschland freudig begrüßt werden. Doch seine eigenen Beamten ver—
mochten diese Hoffnungen nicht zu teilen. Nach dem Tode des trefflichen
bayrischen Gesandten v. Mieg gestand Geh. Rat v. Sydow traurig: jetzt
könne der Bundestag selbst sehr mäßigen Ansprüchen nicht mehr genügen,
und nur noch durch einen durchgreifenden Personenwechsel neues Leben
gewinnen.*) Geistreiche junge Männer, wie Adolf von Schack, der Sohn
des mecklenburgischen Bundesgesandten, wurden durch die abschreckende
Nichtigkeit des Frankfurter Diplomatenlebens in das Lager des Liberalis=
mus hinübergescheucht. In der Hofburg betrachtete man diesen Jammer
mit unverwüstlichem Gleichmut; ja Metternich kam, zur Verzweiflung
König Friedrich Wilhelms, mehrmals zurück auf seinen alten Vorschlag:
ob man nicht den ständigen Bundestag durch eine von Zeit zu Zeit wieder-
kehrende Gesandtenkonferenz ersetzen solle?
Wie weit die Deutschen noch von einem lebendigen, instinktiven Na-
tionalgefühle entfernt waren, das lehrte mitten in diesen Tagen vater-
ländischer Begeisterung ein aberwitziger Streit, der sich auf den viel-
besungenen grünen Wogen des freien deutschen Rheines abspielte. In
seiner inneren Politik konservativ bis zum Starrsinn, blieb Minister du
Thil doch der beste Deutsche unter den süddeutschen Staatsmännern. Er
hatte bei der Begründung des Zollvereins bewiesen, wie hoch er über
allem partikularistischen Kleinsinne stand, und verhehlte keineswegs, daß
er die Militärhoheit der kleinen Fürsten für einen gemeinschädlichen Miß-
brauch hielt; aber — das war der Fluch dieser Bundesverfassung — so-
lange die Souveränität der kleinen Staaten bestand, wollte er der Würde
seines Großherzogs nicht das mindeste vergeben.**“) Dies gewaltige hessen-
darmstädtische Selbstgefühl veranlaßte manche ergötzliche Zwistigkeiten.
Darmstadt unterstand sich, einen Orden Philipps des Großmütigen zu
stiften. In Kassel hingegen wurde der gemeinsame Stammvater der hessischen
Häuser als ein kurhessischer Nationalheld betrachtet und die Selbstüber-
hebung der jüngeren Linie allgemein verurteilt; es währte mehrere Jahre,
bis der Zorn sich legte und kurhessische Beamte die Erlaubnis erhielten,
den Orden zu tragen. Noch kräftiger regte sich der darmstädtische Stolz,
als die neue Taunusbahn von Frankfurt über Castel nach Biebrich er-
öffnet wurde. Die Bahn war, da sie durch ein Stück hessischen Gebietes
führte, unter Mitwirkung du Thils zu stande gekommen. Es zeigte sich
jedoch bald, daß sie den Mainzer Handel schädigte. Während die vordem
*) Sydows Berichte, 7. Mai, 11. Juni 1842.
**) Nach du Thils Aufzeichnungen.