Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Graf Arnim Minister des Inneren. 167 
mußte selbst sein Nachfolger Bötticher anerkennen?), und in seinem streit- 
baren Wesen zeigten sich scharf ausgeprägt viele Charakterzüge des ost- 
preußischen Volkstums, nur leider nicht der schönste: die Wahrhaftigkeit. 
Er zog sich nach seinem stillen Arnau im Pregeltale zurück, gründete 
den landwirtschaftlichen Zentralverein, dessen Vorsitz er übernahm, und 
war auch sonst vielfach für gemeinnützige Zwecke tätig. Noch lebhafter 
beschäftigte ihn die Sorge um den eigenen Nachruhm: unablässig bemühte 
er sich, bald junge Gelehrte ganz mit seinem Geiste zu durchtränken, bald 
älteren Historikern jene kunstvollen Geschichtsdarstellungen zu übermitteln, 
die er sich zu seiner eigenen Verherrlichung ersonnen und dann so un- 
zähligemal wiedererzählt hatte, daß er schließlich selbst daran glaubte. 
Zu einer großen politischen Wirksamkeit gelangte er nie mehr, obgleich 
der König ihm die persönliche Freundschaft mit rührender Treue be- 
wahrte. — 
An Rochows Stelle wurde Graf Arnim aus Posen berufen. Man 
begrüßte ihn mit großen Erwartungen; man glaubte allgemein, der kräf- 
tige, noch nicht vierzigjährige Mann, der sich auch sofort mit jungen 
Räten umgab, würde die gesamte Richtung des Kabinetts bestimmen. 
Ein Neffe Steins hatte Arnim seines aristokratischen Stolzes nie ein 
Hehl; er nannte es einen unschätzbaren Vorzug, daß sein Haus eine der 
Stätten sei, wo Recht gesprochen, wo das Unrecht gestraft, wo die Ord- 
nung geschützt würde. An den englischen Moden und Passionen, welche 
damals in die vornehme Welt Deutschlands und Österreichs einzudringen 
begannen, fand der Graf viel Freude; seine hohe, etwas steife, stets ele- 
gant gekleidete Gestalt erinnerte mehr an einen Lord als an den Sohn 
eines alten deutschen Kriegergeschlechtes; nicht ohne Herablassung schaute 
der blonde Kopf zwischen den mächtigen Vatermördern — wie man die 
neuen Hemdkragen nannte — auf die gewöhnlichen Sterblichen hernieder. 
Aber gleich seinem großen Oheim war er ganz durchdrungen von dem 
Grundsatze des Gleichgewichts der Rechte und der Pflichten; er verlangte, 
daß der preußische Adel sich eine Machtstellung durch politische Arbeit 
verdiene, und wünschte dringend baldige Berufung eines Reichstags auf 
den vorhandenen ständischen Grundlagen. Dem Könige konnten solche 
Gedanken, schon weil sie so einfach und zweckmäßig waren, unmöglich 
zusagen; in seinem selbstherrlichen Stolze hatte er es indes gar nicht 
für nötig gehalten, sich mit dem neuen Minister, der ihm persönlich ge- 
fiel und ja doch nur Werkzeug sein sollte, im voraus zu verständigen. 
Auch in ihren religiösen Anschauungen stimmten die beiden nicht zu- 
sammen, da Arnim zwar ein gläubiger Christ, doch jeder Art des Pietis- 
mus feind war und die alte staatskirchliche Politik Altensteins zwar be- 
hutsam weiterführen, doch keineswegs aufgeben wollte. Arnim übernahm 
  
*) Böttichers Bericht an Thile, 2. Juni 1844.
	        
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