Russische Reise. 169
Von Schlesien eilte er nach Warschau, um mit Kaiser Nikolaus zu—
sammenzutreffen. Mehrmals hatte der Zar neuerdings dem Berliner
Hofe heilig beteuern lassen, die Annäherung an England solle der älteren.
und engeren Freundschaft der drei Ostmächte keinen Abbruch tun; er
bemühte sich auch, seinen Gast liebenswürdig zu empfangen. Aber die
harmlosen Tage waren längst vorbei, da die Berliner immer den Zaren
meinten, wenn sie von „dem Kaiser“ schlechthin sprachen. Wie das wieder
emporkommende, von Nikolaus selbst begünstigte Altmoskowitertum gegen
die kulturbringenden Westler, die Deutschen einen barbarischen Ingrimm
zeigte, so war auch in Preußen die russische Kriegsgenossenschaft jetzt
gründlich vergessen; der Zorn der Ostpreußen über „die chinesische Mauer“
der moskowitischen Nachbarn vereinigte sich mit dem alten Hasse der
liberalen Polenfreunde, im Hohne gegen Rußland fanden sich fast alle
Parteien zusammen. Unwillkürlich wurden auch die beiden Herrscher mit
berührt von der veränderten öffentlichen Meinung ihrer Völker. Nikolaus
war etwas gealtert, aber noch immer fühlte er sich als Gottes auser—
lesenes Werkzeug, zum Vernichtungskampfe gegen die Revolution fest
entschlossen, und seit sein Thronfolger kürzlich eine hessische Prinzessin ge—
heiratet hatte, meinte er sich mehr denn je berufen, über Deutschlands
Ruhe zu wachen; die unberechenbare Neuerungslust Friedrich Wilhelms
blieb ihm verdächtig. Dem Künstlergemüte des Königs widerstand die
harte menschenverachtende russische Zucht; er langweilte sich bei den Ka—
sernengesprächen dieses Schwagers, der im vollen Ernste sagte, was un—
schuldige Leute für eine boshafte Erdichtung hielten: nichts verdirbt ein
Heer so sehr wie der Krieg. Die kurze Zusammenkunft brachte kein po—
litisches Ergebnis, nicht einmal einen gründlichen Gedankenaustausch;
immerhin erweckte sie dem Könige wieder alte teuere Jugenderinnerungen.
Als er auf der Heimreise bei Kalisch das Denkmal für die Jahre 1813
und 1835 erblickte, dessen Inschrift den Segen Gottes für das preußisch-
russische Bündnis erflehte, da schritt er tief bewegt die Stufen hinauf und
schrieb mit dem Finger „Amen“ unter die Zeilen — was ihm die liberale
Welt sehr übel nahm. Im November besuchte er sodann den Münchener
Hof. Bald nachher verlobte sich der vielumworbene Kronprinz Max von
Bayern mit der schönen Prinzessin Marie von Preußen, einer Tochter des
älteren Prinzen Wilhelm; und die dem Könige so teuere Freundschaft
des bayrischen Hauses schien von neuem gesichert.
Noch im selben Winter folgte die englische Reise. Um die doch recht
bemerkbare Eifersucht des Zaren zu beschwichtigen, wurde dann der fünf-
undzwanzigste Jahrestag seiner Ernennung zum Chef der brandenburgischen
Kürassiere mit vielem Glanze gefeiert. Als Nikolaus die Abgesandten seines
Regiments empfangen hatte, sagte er zu dem preußischen Gesandten nicht
ohne Wehmut: das seien damals doch die glücklichsten Zeiten seines
Lebens gewesen, die Tage der jungen Liebe und des zwanglosen Verkehrs