188 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung.
war ein rein doktrinäres Bedenken; denn kam der Vereinigte Landtag
einmal zusammen, so mußte er unfehlbar häufig wiederkehren, keine Macht
der Welt konnte dies dann noch verhindern. Endlich scheute der König
die Aufregung der Wahlen, obwohl doch die Erwählung der Vereinigten
Ausschüsse soeben ganz ruhig verlaufen war, und wollte darum die Reichs—
stände durch einfache Zusammenberufung aller Provinziallandtage bilden.
Alle diese Abweichungen von den alten Gesetzen hoffte er aber auf
streng rechtlichem Wege, mit Zustimmung seiner getreuen Stände selbst,
durchzuführen, und stellte daher an den Ministerrat drei Fragen. Er—
stens, kann man den Ständen, wenn man sie auf dem Provinzialland-
tage oder in einem Vereinigten Landtage befragt und ihnen das Steuer-
bewilligungsrecht zugesteht, die Anforderung stellen, daß sie auf die Zu-
stimmung zu Kriegsanleihen verzichten? Zweitens, werden sie sich nicht
für inkompetent erklären? Drittens, sind für den Fall eines plötzlich
ausbrechenden Krieges genügende Mittel vorhanden? Die Befragten
waren ebenso sehr verwundert über die halb freigebigen, halb kargen Ge-
währungen des Monarchen, wie über die rechtlichen Schwierigkeiten, die
er sich durch seinen künstlichen Plan selbst geschaffen hatte. Ganz ein-
verstanden erklärte sich nur einer, Geh. Rat von Voß. Die große Mehr-
zahl der Minister, Boyen, Thile, Bodelschwingh, Stolberg, Mühler, Eich-
horn, Savigny, Bülow, ja selbst der greise Präsident des Staatsrats
General Müffling hielten für unmöglich, daß ständische Körperschaften
ihre eigene Macht freiwillig beschränken könnten; sie sagten dem Könige
voraus, was nach vier Jahren eintraf: die Vereinigten Provinzialstände
würden sich nicht für befugt halten, in die Rechte des verheißenen Reichs-
tags einzugreifen. Nicht ganz so ablehnend, aber auch nicht zustimmend lau-
teten die Gutachten von Rochow, Alvensleben, Rother, Arnim. Mehrere
empfahlen die Berufung eines gewählten ständischen Ausschusses. Der
Justizminister Mühler wagte sogar die ketzerische Behauptung: „Gegen eine
Verfassungsurkunde des preußischen Staates läßt sich nichts erinnern. Eine
solche Urkunde im Sinne des monarchischen Prinzips wäre die erste ihrer
Art und würde dann zu den konstitutionellen Charten anderer Länder
einen interessanten Gegensatz bilden.“
Der alte Rother sogar, der als treuer Diener des verstorbenen Königs
nur dessen letzten Willen auszuführen, nur einen kleinen Ausschuß von
32 Landständen und eben so vielen Staatsräten zu berufen vorschlug,
fühlte sich doch gedrungen zu der bestimmten Erklärung: die Verwaltung
der Staatsschulden lasse sich ohne irgend eine Mitwirkung von Ständen
auf die Dauer nicht mehr weiterführen. Die Schuld, so führte er aus,
sei seit 1820 um fast 68 Mill. Tlr., bis auf 138,86 Mill. vermindert
worden und werde in einer nahen Zukunft nur noch 100 Mill. be-
tragen. Tiefer aber dürfe sie nicht sinken; sonst triebe man das heimische
Kapital in das Ausland oder in Schwindelgeschäfte; darum müsse das