Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Beratungen über die künftige Verfassung. 189 
Staatsschuldengesetz mit ständischer Zustimmung rechtzeitig abgeändert und 
dann die Tilgung eingestellt werden.“) Selbst dieser Mann der alten 
Hardenbergischen Schule hatte also gelernt von der verwandelten Zeit. 
Die Meinung, daß Staatsschulden schlechthin vom übel seien, war einst 
in den knappen Jahren nach den Kriegen aufgekommen und durch Nebenius' 
klassisches Buch über den öffentlichen Kredit im deutschen Beamten— 
tum zur Herrschaft gelangt; jetzt da der Unternehmungsgeist erwachte, 
begannen schon viele Deutsche bewundernd auf England zu schauen, das 
bei seiner riesigen Staatsschuld doch immer reicher wurde. Freilich blieb 
Rother noch weit entfernt von der Einsicht, daß jetzt der rechte Augen— 
blick gekommen war, die preußische Staatsschuld durch produktive An— 
leihen für den Eisenbahnbau zu vergrößern. 
Die wohlgemeinten Gutachten der Minister konnten den König nur 
verwirren; denn sie wurden schriftlich eingereicht, nach und nach, ohne 
gemeinsame Vorberatung, manche erst nach Jahresfrist, und wichen im 
einzelnen weit voneinander ab. Es fehlte ein beherrschender staatsmänni— 
scher Kopf, der die Blicke der Amtsgenossen auf das Wesentliche ge— 
richtet und im Namen des Ministerrates den Monarchen gebeten hätte: 
er möge, statt zu künsteln, fest auf dem Boden der alten Gesetze bleiben, 
an denen er ja selbst als Kronprinz mitgebaut, und aus den Provinzial- 
ständen einen Reichstag wählen lassen, dessen Zahl und Zusammensetzung 
noch ganz in der Hand der Krone lagen. Ein solcher gemeinsamer Schritt 
der Minister war allerdings sehr schwer, bei der subalternen Stellung, 
welche Friedrich Wilhelm seinen Räten zuwies; sie beschieden sich alle, 
nur unmaßgebliche Ratschläge zu erteilen und überließen die Verant- 
wortung dem Monarchen allein. Verstimmt über die Bedenklichkeit der 
Minister legte der König nach seiner Weise die ärgerliche Sache vorläufig 
zur Seite und nahm sich im stillen vor, zu gelegener Stunde wieder 
auf seinen unwandelbaren Plan zurückzukommen. Bei der zwecklosen 
Berufung der Vereinigten Ausschüsse hatte er soeben alles überhastet; 
jetzt verlor er wieder eine köstliche Zeit, die Tatenscheu hielt dem Ge- 
fühle seiner königlichen Unfehlbarkeit die Wage. Im Ministerrate war 
fortan ein volles Jahr lang von der großen Zukunftsfrage der Monarchie 
gar nicht mehr die Rede. — 
  
Unter allen den Geschenken, welche Friedrich Wilhelm aus dem Füll- 
horn königlicher Gnade seinen Preußen zu spenden dachte, war ihm die 
Entfesselung der Presse besonders teuer. Er liebte die Freiheit nach 
seiner patriarchalischen Weise, er hoffte durch die Freiheit die Presse zu 
  
*) Vota der Minister auf die drei Fragen Sr. Majestät, vom 9. Nov. 1842 bis 
zum 15. Nov. 1843. «
	        
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