Bülow-Cummerow. Die Spottbilder. 199
über den Hof und die Minister, sonst dachten sie nur an Theater, Kon-
zerte, Literatur. In den Provinzen wurde Berlin gründlich gehaßt, schon
weil der Instinkt des Partikularismus fühlte, daß die Stadt trotz alledem
zur deutschen Hauptstadt heranwuchs. Ihres eigenen Bürgermutes froh
verachteten die Rheinländer und die Ostpreußen den politischen Stumpf-
sinn der Spreestadt; „die Berliner sind eben Berliner“, so klang es überall
in den Zeitungen des Westens und des Ostens. In der Stille bereitete
sich doch schon eine Wandlung vor. Die in Großstädten unvermeidliche
Demokratisierung der Sitten wirkte auf die politische Gesinnung der
niederen Stände zurück. Der Berliner Philister spottete über den Prunk
des Hofes, den Hochmut der Offiziere, die Barschheit der Gendarmen, am
liebsten über die Frömmigkeit der vornehmen Kirchgänger; Adolf Glas-
brenners bildergeschmückte Flugschriften, die Lieblinge der kleinen Bürger
redeten immer dreister, stachlicher, politischer.
Überhaupt brachte die Aufhebung der Bilderzensur dem Könige bittere
Enttäuschungen. Es war die Zeit, da Gavarni für den Pariser Charivari
seine geistvollen Skizzen zeichnete. Scherzbilder und Rebus kamen auch
in Deutschland in die Mode, und diese Eintagsfliegen fanden überall
unmäßige Beachtung, weil ein ernsthaftes öffentliches Leben sich noch kaum
entwickelt hatte. Unschuldige Gemüter ergötzten sich an dem neuen Witz-
blatte der Münchener Maler, den Fliegenden Blättern: der dicke kleine
Baron Beisele und sein hagerer Hofmeister Doktor Eisele, die beiden harm-
losen Reisenden, die mit Frankfurter Kellnern, Berliner Geheimräten
und bayrischen Knödelessern so viel schnurrige Abenteuer erlebten, wurden
zu volkstümlichen Gestalten, in Zinn und Porzellan, in Zuckerguß und
Schokolade unzähligemal nachgebildet. Doch daneben gelangten auch freche
Karikaturen in Umlauf, denen die nachträglichen Verbote nichts mehr an-
haben konnten. Es war der Fluch des persönlichen Regiments, daß die
Satire ihre giftigsten Pfeile gegen den Monarchen selber richten mußte; seine
Räte kamen glimpflicher davon, nur der vielverleumdete Kultusminister
wurde als Eichhörnchen in mannigfachen Verzerrungen dargestellt. Da sah
man den König, in der einen Hand die Ordre, in der andern die Kontre-Ordre,
auf seiner Stirne stand zu lesen: Désordre; oder auch zwei Eckensteher, der
Berliner Friede und der Bayer Lude hielten selbander ein hochromantisches
Zwiegespräch; oder gar der große Friedrich schritt durch den Schnee, und
seinen Fußstapfen folgte, schwankenden Ganges, mit zwei Champagner-
flaschen in den Händen, der neue Herrscher, dazu die Inschrift: wie einer
immer daneben trat! Dies letzte Bild bewies zugleich, wie tief sich die über-
all zischelnde giftige Nachrede schon in die Volksmeinung eingefressen hatte.
Friedrich Wilhelm war wie fast alle Hohenzollern ein starker Esser, jedoch
im Trinken mäßig, weil er wenig Wein vertrug. Wenn er aber beim
Mahle mit gerötetem Gesicht und unruhig zuckenden Armen einen Trink-
spruch ausbrachte, darauf sein volles Glas auf einen Zug leerte und vor