Das Ober-Zensurgericht. 209
will“, sagte die Kabinettsordre, „ist die Auflösung der Wissenschaft und
Literatur in Zeitungsschreiberei, die Gleichstellung beider in Würde und
Ansprüchen.“ Zugleich einigte sich der Ministerrat nach lebhaften Kämpfen
auch über die vorläufige Organisation der Zensur-Behörden. Der König
selbst befahl, daß bei dem Ober-Zensurgericht, wie in den Ländern des münd-
lichen Verfahrens, ein Staatsanwalt die Strafanträge stellen sollte. Für
die Mitglieder dieses Gerichtshofes forderten die juristischen Räte der Krone
allesamt gesicherte Selbständigkeit: Savigny verlangte ihre Anstellung auf
Lebenszeit; Gerlach außerdem noch, daß sie nur nach veröffentlichten Lan-
desgesetzen urteilen sollten, darin liege „das Wesen und die Bedingung
aller Justiz“; Mühler endlich dachte sich das Ober-Zensurgericht als einen
durch zwei Gelehrte zu verstärkenden Senat des Obertribunals, denn sein
Zweck sei, die Presse vor der Willkür der Zensoren zu schützen, und „was
man will, muß man ganz wollen“.?) Schließlich wurden die Rechtsbe-
denken der Juristen durch die polizeiliche Angstlichkeit doch überstimmt;
die Mehrzahl der Minister beruhigte sich bei dem Troste, daß die neue
Einrichtung ja nur als ein Versuch gemeint sei. Die Verordnung vom
23. Febr. 1843 setzte für die Zensurverwaltung Lokal= und Bezirkszensoren
ein, unter der Leitung des Ministers des Innern, und übertrug die Preß-
justiz einem Ober-Zensurgerichte, dessen Mitglieder—sieben Juristen und zwei
Gelehrte — auf drei Jahre ernannt wurden und außer den Landesgesetzen
auch die den Zensoren erteilten „speziellen Anweisungen befolgen“ sollten.
Der beste Gedanke der königlichen Reformpläne fiel also zu Boden.
Eine solche Behörde war kein unabhängiger Gerichtshof, sie unterschied
sich nur wenig von dem alten Ober-Zensurkollegium, und mit dem Frei-
mut des preußischen Richters erklärte Ludwig Gerlach sofort: er sehe sich
außer stande, das ihm angetragene Präsidium dieses Zensurgerichts zu
übernehmen.) Statt seiner erhielt Staatssekretär Bornemann den Vor-
sitz, ein ausgezeichneter Jurist von entschieden liberaler Gesinnung; der
meinte traurig, man müsse seinen ganzen Ruf dem Staatsinteresse zum
Opfer bringen, und in der Tat ward er wegen seines verhaßten Amts
bald überall als Reaktionär verlästert. Es war ein Kennzeichen dieser
Regierung der Mißverständnisse, daß unter ihr niemand im rechten Lichte
erschien. Am 30. Juni wurden dann noch einige Ergänzungen veröffent-
licht, die im wesentlichen nur die alten Zensurvorschriften in etwas ver-
änderter Fassung wiederholten. Mehr war für jetzt nicht zu erreichen.
Ratlos, steuerlos schwankte die Regierung zwischen freisinnigen Wünschen
und bureaukratischer Angst.
Das neue Zensurgericht bewährte sich nicht. Derweil die Nation
*7) Denkschriften von Gerlach, 15. Dez. 1842, von Mühler, 22. Febr. 1843. Saviqny
an Thile, 23. Febr. 1843.
*“) Gerlach an den König, 21. Febr. 1843.
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 14