Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

220 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung. 
zieren ging. Auf die Dauer ward ihm doch nicht wohl. Wie Mendels— 
sohns keuscher Künstlersinn sich nach der friedlichen Stille einer deutschen 
Mittelstadt zurücksehnte, so strebte dieser Virtuos des rauschenden Erfolges 
hinaus nach der großen Bühne der internationalen Kunst, die für ihn die 
natürliche Heimat war. Nach einigen Jahren schied auch er, um fortan 
wieder in Paris zu leben und die Vaterstadt nur alljährlich auf kurze 
Zeit zu besuchen. 
Seltsames Mißgeschick! Von dem glänzenden Viergespann, das 
Bunsen vor den Wagen des königlichen Kunstfreundes zu spannen hoffte, 
konnte nur einer im neuen Berlin seine ganze Stärke zeigen: Christian 
Rauch. Ihm blieb bis ins hohe Alter der stetig anhaltende Atemzug 
künstlerischer Kraft und nicht minder die treue Hingebung an das könig— 
liche Haus. Er arbeitete alle diese Jahre hindurch an dem Riesenwerke 
des Friedrichsdenkmals. Doch ein solches Unternehmen bedurfte langer 
Zeit; die Berliner bekamen von dem Altmeister lange nichts Neues mehr 
zu sehen außer dem schönen Grabmale des alten Königs, das neben dem 
Sarkophage der Königin Luise im Charlottenburger Mausoleum errichtet 
wurde. Was hatte man nicht alles erwartet von diesem hochsinnigen 
Fürsten, der, selbst ein Künstler, mit dem berühmtesten Kunstkenner der 
Zeit, dem Freiherrn v. Rumohr, nahe befreundet war. Nun ließ sich 
doch nicht mehr verkennen, daß in diesen acht Jahren von bleibenden 
Kunstwerken weniger zu stande kam als weiland unter dem nüchternen 
alten Herrn. Die krankhaft aufgeregte Tadelsucht spottete, diese Regierung 
sei auch darum echt modern, weil ihren großen Intentionen die verkümmerte 
Ausführung niemals entspräche. 
Wie die beiden ersten Musiker so wünschte Friedrich Wilhelm auch 
den namhaftesten Dichter unter den lebenden Berlinern in die Vaterstadt 
zurückzurufen. Ludwig Tieck kam, und der König zeigte sich sehr herzlich, 
eingedenk der Wonnen, die ihm einst in seiner Jugend die Märchenpracht 
des Phantasus bereitet hatte. Der Dichter erhielt seine verkaufte Biblio- 
thek durch des Königs Freigebigkeit zurückgeschenkt und im Parke von 
Sanssouci ein Haus angewiesen, damit er immer zur Hand wäre, wenn 
sein Gönner an einem stimmungsvollen Abend eine dramatische Vorlesung 
zu hören wünschte. Aber seine schöpferische Kraft war schon versiegt; die 
neue Zeit mit ihrem Lärm widerte den Romantiker so tief an, daß er nicht 
einmal die Eisenbahn nach Potsdam benutzen mochte, sondern in seinem 
Wagen daneben herfuhr. Vom Alter gebeugt verbrachte er den größten 
Teil dieser Berliner Jahre in hoffnungslosem Siechtum. Die Vor- 
lesungen bei Hofe wurden seltener und seltener, da der König nicht lange 
bei der Stange bleiben konnte. Selbst eine stille Gemeinde, wie sie in 
Dresden das Lesepult des Altmeisters umstanden hatte, ließ sich in dem 
unruhigen, zerstreuenden Treiben der Hauptstadt nicht zusammenbringen; 
bloß vereinzelte Besucher, treue Hausfreunde oder dann und wann ein
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.