Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Die Schulmeister. 241 
wähnte er die Bauern weit zu übersehen, während diese ihn wegen seiner 
Armut verachteten, manche auch ganz richtig fühlten, daß zur Leitung 
einer großen Bauernwirtschaft viel mehr Kraft des Willens und des Ver— 
standes gehört als zum Einüben der ersten Schulkenntnisse. So wirkten 
mannigfache Verhältnisse zusammen, um den Volksschullehrern den be- 
scheidenen, zufriedenen Sinn zu stören, und die Opposition wußte sich 
dieser Verstimmung bald zu bemächtigen. In vielen Dörfern Schlesiens, 
Sachsens, Ostpreußens sammelte der radikale Schulmeister die unzufrie- 
denen kleinen Leute um sich und begann in aller Stille eine Wühler- 
arbeit, deren Früchte das Revolutionsjahr an den Tag brachte. Trotz der 
großen Fortschritte der pädagogischen Methode blieb es zweifelhaft, ob nicht 
die schulmeisternden Invaliden der friderizianischen Zeit, alles in allem, 
mehr Segen gestiftet hatten als ihre kenntnisreicheren Nachfolger. Sie 
hatten geholfen ein dürftig unterrichtetes, aber frommes, pflichtgetreues, 
zufriedenes Geschlecht zu erziehen; in der verbesserten Volksschule wirkten 
neben den aufbauenden auch zersetzende und zerstörende Kräfte. 
Solche Mißstände ließen sich schwer heilen, weil sie in dem gesamten 
geistigen und sozialen Zustande der Nation wurzelten. Aus manchem 
widerwärtigen Skandal lernte der neue Minister, wie der Geist des Dünkels 
in einem Teile des Lehrerstandes überhandnahm. Das große Schul- 
lehrerseminar in Breslau mußte gänzlich geschlossen werden, weil ganze 
Klassen der Zöglinge sich widersetzlich zeigten; und der schlesische Schul- 
meister Wander, einer der frechsten Radikalen, unterstand sich sogar, in 
einem anmaßlichen offenen Briefe den Minister zur vollständigen Neuge- 
staltung des Seminarunterrichts aufzufordern: durch den Besuch der Ober- 
realschulen und das Anhören akademischer Kollegien sollten die Lehrer des 
Volks künftighin würdig auf ihren hohen Beruf vorbereitet werden. Eich- 
horn hegte den wohlerwogenen Plan, ein Ober-Schulkollegium zu errichten, 
damit sich nach und nach eine feste, von dem Wechsel der Personen im 
Ministerium unabhängige Tradition bilden könnte. Er wollte ferner den 
Notstand unter den Lehrern durch beträchtliche Erhöhung der Gehalte 
beseitigen, den überladenen Lehrplan der Seminare vereinfachen, dem Re- 
ligionsunterrichte die herrschende Stellung in der Volksschule zurückgeben, 
so daß sich die anderen Lehrfächer daran anfügen sollten. Auch wünschte 
er, hierin ganz mit Diesterweg einig, die Seminare aus der zerstreuenden 
Unruhe der Großstädte hinweg zu verlegen. Diese gute Absicht trug freilich 
nicht immer die gehofften Früchte; denn in den kleinen Städten spielten die 
Seminare oft fast die Rolle einer Universität, die Musikaufführungen ihrer 
Schüler standen im Mittelpunkte des geselligen Lebens, und dies laute 
Treiben bildete keine glückliche Vorschule für junge Menschen aus dem Volke, 
die ihre Jahre vielleicht in der Stille eines Walddorfes verbringen sollten. 
Im Jahre 1844 beschränkte Eichhorn die Überzahl der Lehrbücher; Dinters 
Bibel und einige ähnliche Bücher wurden ganz verbannt. 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 16
	        
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