Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

244 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung. 
berger Zeitung auszutreten, und dann durch gerichtlichen Spruch die ver— 
diente Strafe empfing. Neben dem Rechte der souveränen überzeugung 
sollte die Amtspflicht des Lehrers gar nichts mehr gelten. 
Also gelangte Eichhorn in seiner achtjährigen Unterrichtsverwaltung 
nirgends zu Neuschöpfungen, sondern nur zu vereinzelten Anläufen und 
Eingriffen, welche das Nahen eines neuen Systems verkündigen sollten; 
und diese Versuche genügten, um die gesamte Gelehrten- und Lehrerwelt, 
von Humboldt bis herab zu den Schulmeistern mit Groll zu erfüllen. 
Die Demagogenverfolgungen der früheren Tage erschienen nunmehr fast 
erträglich, da sie sich doch nur gegen vermeintliche Staatsverbrechen ge— 
richtet und die Lehre nicht berührt hatten; das aber war seit langem un— 
erhört und widersprach allen Lebensgewohnheiten der protestantischen Welt, 
daß jetzt von oben her versucht wurde, die Wissenschaft selber zu meistern 
und zu gängeln. Da man aus monarchischer Ehrfurcht den König selbst 
schonen und den geistreichen Fürsten auch nicht für einen entschiedenen 
Feind des untrüglichen Zeitgeistes halten wollte, so bildete sich in weiten 
Kreisen die grundfalsche Vorstellung: daß der Monarch durch die Rotte 
von Dunkelmännern, die ihn umgäbe, halb wider Wissen und Willen 
der Gegenwart entfremdet würde, und der Dunkelste dieser Dunkeln sollte 
Eichhorn sein. . 
In solchem Argwohn wurde die gelehrte Welt bestärkt durch die 
Wandlung, die sich allmählich in den strengkirchlichen Parteien vollzog. 
Hengstenberg hielt sich wie immer ganz unabhängig, er verhehlte nicht, 
daß ihm der neue Kultusminister viel zu liberal war. Gleichwohl galt 
seine Evangelische Kirchenzeitung überall für ein Organ des Ministeriums, 
und sie zeigte immer deutlicher, daß die neue, mit ihrem alten Feinde, 
dem Pietismus, versöhnte Orthodoxie geradeswegs zurückstrebte zu dem 
starren Luthertum des siebzehnten Jahrhunderts; jede theologische For- 
schung, die über diese Grenze hinausging, ward als ungläubig verdammt. 
So entstand, unnatürlich genug, eine breite Kluft zwischen dem kirchlichen 
Glauben und der modernen Wissenschaft. Denn wahrlich nicht bloß die 
radikalen Junghegelianer, sondern gerade die besten Köpfe der jungen em- 
pirischen Wissenschaft, die eben erst zur Freiheit voraussetzungslosen For- 
schens hindurchgedrungen waren, sträubten sich wider die Zumutung, 
daß sie zurückkehren sollten zu den Ideen einer der dumpfsten Zeiten deut- 
scher Geschichte; nicht darum hatten sie die Fesseln der philosophischen 
Scholastik gesprengt, um nun theologische Ketten zu tragen. Seit die 
Orthodoxie wider die freie Wissenschaft eiferte, verbreitete sich unter den 
Mittelklassen weiter denn jemals das alte, in der Geschichte der neuen 
deutschen Bildung so tief begründete Vorurteil, als ob der ernste Kirchen- 
glaube nur das Erbteil der Schwachköpfe, der Duckmäuser und der Heuchler 
wäre. Zudem forderten die neuen Lutheraner, wie die alten, für das 
geistliche Amt in der Kirche eine Herrscherstellung, welche sich mit der
	        
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