250 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung.
und doch so unfruchtbaren Berufungen, die ewigen Verheißungen, denen
keine Tat folgte. Der boshafte Chorgesang
Ach, daß der Schwanenorden
Nicht fertig ist geworden —
sprach den Grundgedanken des Gedichtes aus: allüberall nur ein großes
Mißlingen, und zuletzt nur die Hoffnung, daß dereinst einmal ein Mann
erstehen würde, Germanias wahrer Bräutigam, ein Rächer dem hoffenden
Volke. Diese Keckheit verwickelte den Verfasser in eine Anklagewegen Maje-
stätsbeleidigung; der König aber schlug großmütig das Verfahren nieder. —
Wie getreu diese spöttische Dichtung die erbitterten, argwöhnischen
Stimmungen der gebildeten Klassen widerspiegelte, das mußte Friedrich
Wilhelm schmerzlich erfahren bei einer Reformarbeit, die ihm als heilige
Pflicht erschien, bei dem Versuche die Ehegesetzgebung zu reinigen. Das
Preußische Landrecht hatte mit der alten willkürlichen Theologenlehre,
welche nur Ehebruch und bösliche Verlassung als biblische Scheidungs-
gründe gelten ließ, gänzlich gebrochen und, im Geiste der neuen Aufklärung,
die Ehescheidung sehr erleichtert, da der große König die Vermehrung
der Bevölkerung grundsätzlich begünstigte. Die dehnbaren Vorschriften
des Gesetzes wurden zudem von den Untergerichten, denen die Entschei-
dung in der Regel überlassen blieb, so leichtfertig gehandhabt, daß die
frivolen Scheidungsklagen auf Grund unüberwindlicher Abneigung oder
gegenseitiger Einwilligung, die der Gesetzgeber nur in Ausnahmefällen
hatte zulassen wollen, sich mehr und mehr häuften. Das Verfahren war
meist ohne Ernst und Würde; der junge Referendar Otto v. Bismarck
fühlte sich in tiefster Seele empört, als er auf dem Berliner Stadtgerichte
mit ansehen mußte, wie gleichmütig man die tragischen Kämpfe des
häuslichen Lebens abzutun pflegte. Die öffentliche Meinung fand an
der bequemen Praxis der Gerichte wenig auszusetzen; denn bewußt oder
unbewußt stand sie noch unter der Herrschaft des alten Vernunftrechts,
das in der Ehe lediglich einen freien privatrechtlichen Vertrag sah, und aus
der neuen Dichtung hatte sie die Lehre von dem schrankenlosen Rechte des
Herzens geschöpft. Nur wenige erkannten, daß die Ehe die sittliche Grund-
lage alles menschlichen Gemeinwesens ist und darum auch dem Staats-
rechte und dem Kirchenrechte angehört. Zu diesen wenigen zählte der
alte König, der mehrmals, sehr dringend noch in seinem letzten Regie-
rungsjahre, das unbehilfliche Gesetzgebungsministerium zu einer Revision
des Eherechts aufforderte. Damals ward auch der Kronprinz auf die
schreienden Übelstände aufmerksam; er ließ sich von Bunsen ein umfäng-
liches Gutachten erstatten; und unablässig drängte ihn Ludwig v. Gerlach
zum Kampfe wider das Landrecht, das der gestrenge Hallerianer kurzab
„der Feindschaft gegen Kirche, Ehe und Recht“ beschuldigte.")
*) Bunsens Schrift ist oben V. 8 Anm. angeführt. Gerlachs Gutachten dar-
über, o. D., Anfang 1840.