Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

250 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung. 
und doch so unfruchtbaren Berufungen, die ewigen Verheißungen, denen 
keine Tat folgte. Der boshafte Chorgesang 
Ach, daß der Schwanenorden 
Nicht fertig ist geworden — 
sprach den Grundgedanken des Gedichtes aus: allüberall nur ein großes 
Mißlingen, und zuletzt nur die Hoffnung, daß dereinst einmal ein Mann 
erstehen würde, Germanias wahrer Bräutigam, ein Rächer dem hoffenden 
Volke. Diese Keckheit verwickelte den Verfasser in eine Anklagewegen Maje- 
stätsbeleidigung; der König aber schlug großmütig das Verfahren nieder. — 
Wie getreu diese spöttische Dichtung die erbitterten, argwöhnischen 
Stimmungen der gebildeten Klassen widerspiegelte, das mußte Friedrich 
Wilhelm schmerzlich erfahren bei einer Reformarbeit, die ihm als heilige 
Pflicht erschien, bei dem Versuche die Ehegesetzgebung zu reinigen. Das 
Preußische Landrecht hatte mit der alten willkürlichen Theologenlehre, 
welche nur Ehebruch und bösliche Verlassung als biblische Scheidungs- 
gründe gelten ließ, gänzlich gebrochen und, im Geiste der neuen Aufklärung, 
die Ehescheidung sehr erleichtert, da der große König die Vermehrung 
der Bevölkerung grundsätzlich begünstigte. Die dehnbaren Vorschriften 
des Gesetzes wurden zudem von den Untergerichten, denen die Entschei- 
dung in der Regel überlassen blieb, so leichtfertig gehandhabt, daß die 
frivolen Scheidungsklagen auf Grund unüberwindlicher Abneigung oder 
gegenseitiger Einwilligung, die der Gesetzgeber nur in Ausnahmefällen 
hatte zulassen wollen, sich mehr und mehr häuften. Das Verfahren war 
meist ohne Ernst und Würde; der junge Referendar Otto v. Bismarck 
fühlte sich in tiefster Seele empört, als er auf dem Berliner Stadtgerichte 
mit ansehen mußte, wie gleichmütig man die tragischen Kämpfe des 
häuslichen Lebens abzutun pflegte. Die öffentliche Meinung fand an 
der bequemen Praxis der Gerichte wenig auszusetzen; denn bewußt oder 
unbewußt stand sie noch unter der Herrschaft des alten Vernunftrechts, 
das in der Ehe lediglich einen freien privatrechtlichen Vertrag sah, und aus 
der neuen Dichtung hatte sie die Lehre von dem schrankenlosen Rechte des 
Herzens geschöpft. Nur wenige erkannten, daß die Ehe die sittliche Grund- 
lage alles menschlichen Gemeinwesens ist und darum auch dem Staats- 
rechte und dem Kirchenrechte angehört. Zu diesen wenigen zählte der 
alte König, der mehrmals, sehr dringend noch in seinem letzten Regie- 
rungsjahre, das unbehilfliche Gesetzgebungsministerium zu einer Revision 
des Eherechts aufforderte. Damals ward auch der Kronprinz auf die 
schreienden Übelstände aufmerksam; er ließ sich von Bunsen ein umfäng- 
liches Gutachten erstatten; und unablässig drängte ihn Ludwig v. Gerlach 
zum Kampfe wider das Landrecht, das der gestrenge Hallerianer kurzab 
„der Feindschaft gegen Kirche, Ehe und Recht“ beschuldigte.") 
*) Bunsens Schrift ist oben V. 8 Anm. angeführt. Gerlachs Gutachten dar- 
über, o. D., Anfang 1840. 
 
	        
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