Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

332 V. 4. Die Parteiung in der Kirche. 
auch der alte Judenhaß mochte wohl mitwirken. Der Pöbel in Karlsruhe 
rottete sich zusammen und zerstörte das Habersche Haus; die Polizei 
tat wenig, die Truppen erschienen zu spät, und es ließ sich leicht er— 
kennen, daß eine mächtige Partei am Hofe dem Vertrauten der Groß— 
herzogin die Züchtigung gönnte.“) Die Regierung wußte sich nicht zu 
helfen. In ihrer Herzensangst verbot sie den Zeitungen, irgend etwas 
über die schmählichen Vorfälle zu drucken; und mit vernichtendem Hohne 
hielt ihr nachher Mathy im Landtage vor, wie gröblich sie erst durch 
Schwäche, dann durch Härte gesündigt hätte; er weissagte, auf den Karne— 
val dieser Staatsweisheit würde ein Aschermittwoch folgen. Noch nicht 
genug. Ein Offizier außer Dienst, Uria-Sarachaja beschloß den gefallenen 
Kameraden zu rächen und beschimpfte Haber in einem veröffentlichten 
Briefe dermaßen, daß ein zweites Duell unvermeidlich wurde. Haber er- 
schoß seinen Feind und entzog sich dann durch die Flucht einem dritten 
ihm noch angedrohten Zweikampfe. Nun brauste die Entrüstung von neuem 
auf, selbst die Bänkelsänger auf den Jahrmärkten besangen die gräßliche 
Mordgeschichte von den drei Blutopfern; in der rheinischen Presse fand 
der Günstling des Hauses Rothschild freilich auch manche tugendhafte 
Verteidiger. 
Während diese Händel noch schwebten, hatte Blittersdorff endlich ein- 
gesehen, daß seines Bleibens in dem feindseligen Lande nicht mehr sei. 
Im November 1843 ging er wieder als Bundesgesandter nach Frankfurt, 
um dort abermals auf eigene Faust österreichische Politik zu treiben. 
Aus seinem und aus Abels Regiment entnahmen die Süddeutschen die 
heilsame Erkenntnis, was von klerikaler oder halbklerikaler Parteiherr- 
schaft zu erwarten sei. Sein Rücktritt kam aber zu spät; der Mißmut 
hatte sich schon zu weit verbreitet. Der Finanzminister Böckh, der fortan 
die Leitung übernahm, vermochte trotz seiner fachmännischen Tüchtigkeit 
das Ansehen der Regierung nicht wiederherzustellen. Alles ging aus Rand 
und Band. 
Bei dem preußischen Hofe fand der Großherzog, der in seiner Hilf- 
losigkeit überall Rat suchte, keine wirksame Unterstützung. Der König 
hatte den alten, in Süddeutschland wohl bewanderten Gesandten Otter- 
stedt abberufen und seinen Freund Radowitz beauftragt, neben dem Frank- 
furter Posten auch die Karlsruher Gesandtschaftsstelle zu verwalten. 
Wieder ein unbegreiflicher Mißgriff. Radowitz kannte die Zustände des 
Südens gar nicht und vermochte sie auch nicht unbefangen zu beobachten, 
da er damals noch streng klerikale Ansichten hegte, mit Mone und dessen 
Hintermännern auf gutem Fuße stand. Durch seine überlegene Persönlichkeit 
gewann er am Hofe bald festen Boden. Der Großherzog besuchte ihn 
oft heimlich, und war der Preuße in Frankfurt, so schrieb Leopold ihm 
  
*) Radowißs Berichte, 6. 11. Sept. 1843.
	        
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