Blittersdorffs Sturz. 333
Briefe oder ließ ihn durch seinen Flügeladjutanten Krieg mündlich be—
fragen. Die Erwiderungen lauteten immer mild und ruhig. Radowitz
warnte vor Staatsstreichen, er ermutigte den gequälten Fürsten zum
Ausharren, wenn dieser unterweilen an Abdankung dachte, und ver—
hehlte auch nicht, daß er Blittersdorff für einen unheilvollen Mann an—
sah. Doch niemals begriff er, was die Verfassung für dies Land be—
deutete. Das ganze bureaukratisch-konstitutionelle Staatsleben des Südens
ekelte ihn an; „die Umwandlung deutsch-fürstlicher Herrschaften in moderne
Souveränitäten“ blieb ihm der Urgrund alles Übels. Darum hielt er für
ratsam, die Verfassung in wesentlichen Punkten umzugestalten, freilich
nur mit gesetzlichen Mitteln — was doch bei der Stimmung des badischen
Landes rein unmöglich war. Lebhaft empfahl er ein politisches Bünd-
nis zwischen dem Hof und dem Erzbischof, damit eine konservative Partei
„mit spezifisch katholischem Charakter“ sich bilden könne. Daß eine solche
Partei der Krone Preußen feind sein mußte, ahnte er nicht.)
Den Ultramontanen zerstörte Blittersdorffs Sturz manche stille
Hoffnungen. Indes zeigte sich die Regierung so zerfahren und ratlos, daß
man wohl noch einen Vorstoß wagen konnte. Vicari, der Nachfolger des
friedfertigen Demeter auf dem erzbischöflichen Stuhle, war ein schwacher,
freundlicher, leicht zu beherrschender Greis, und bald genug ließ sich die
Wirksamkeit jener geheimnisvollen weltlichen und geistlichen Gäste erkennen,
welche sich am Freiburger Münsterplatze zur wohlbesetzten Prälatentafel
einzufinden pflegten. Von Rom her ermutigt, auch durch mehrere Peti-
tionen der Seeschwaben aufgestachelt, befahl der Erzbischof plötzlich (1845),
daß bei der Einsegnung gemischter Ehen fortan wie in Preußen die katho-
lische Erziehung der Kinder gefordert werden müsse; und er setzte seinen
Willen durch, obgleich die Regierung lebhaft widersprach, auch ein Teil
des Klerus selbst bei dem milderen alten Brauche verharren wollte. So
begann ein kirchenpolitischer Kampf, der sich durch ein Vierteljahrhundert
hinziehen sollte. —
Überall in der Welt nahm der römische Stuhl seine alten Ansprüche
wieder auf, seit er in dem Kölnischen Handel so unerwartet gesiegt hatte.
Auch Württemberg, das alle paritätischen Staaten Deutschlands bisher um
seinen kirchlichen Frieden beneidet hatten, erlebte jetzt den ersten Ansturm
der Ultramontanen. Hier wurde das alte staatskirchliche System, das in
sämtlichen Staaten der oberrheinischen Kirchenprovinz herrschte, mit beson-
derer Strenge gehandhabt. Die königliche Oberaufsichtsbehörde, der katho-
lische Kirchenrat behütete alle Rechte der Kirchenhoheit so wachsam, daß
König Wilhelm nach seinen Erfahrungen wohl berechtigt war, der Krone
Preußen die Nachbildung dieser Behörde zu empfehlen. Selbst in das innere
*) Radowitzs Berichte, 26. Mai, 18. Juli, 10. Sept. 1842. Dessen Denkschrift
über Baden, 10. Dez. 1846.