Verhandlungen über das Toleranzedikt. 357
keit immer nur den einen Gedanken, daß jeder nach seiner Fasson selig
werden müsse, hin und her wendete. Gleichwohl suchten die erregten
Hörer in jedem unschuldigen Worte eine Anzüglichkeit; auf den Bänken
hinter dem Monarchen wurde laut gelacht, als Raumer von den gut-
mütigen eigensinnigen Fürsten sprach, die in allem nach ihrer Über-
zeugung regieren wollten, und von den größeren, welche den Wert der
Persönlichkeit anerkännten. Voll Unwillens verließ der Hof den Saal.
Die Akademie benahm sich wieder ebenso klein, wie vor Jahren, als sie
Hegel den Einlaß verweigerte; wie damals durch persönliche Bosheit so
ward sie jetzt durch klägliche Angst betört und richtete ein höchst unter-
täniges, würdeloses Entschuldigungsschreiben an den Monarchen. Selbst
Humboldt war Hofmann genug, die langweilige Rede „maßlos“ zu nennen.
Darauf erklärte Raumer seinen Austritt, obgleich Friedrich Wilhelm sich
bald wieder besänftigt hatte und über die „Excusen“ seiner Akademiker
mutwillig scherzte.")
So von allen Seiten her angefeindet, beschäftigte sich der König nur
um so eifriger mit dem Toleranzedikte, das die Welt über die beiden
Grundgedanken seiner Kirchenpolitik aufklären sollte: er dachte im Staate
jedem die altpreußische Gewissensfreiheit zu sichern, aber zugleich die evan-
gelische Kirche von allen erklärten Ungläubigen zu reinigen. Fast zwei
Jahre lang, seit dem Juli 1845, wurde darüber beraten, im Staats-
ministerium, im Staatsrate, auch mit mehreren Theologen. Von vorn-
herein stellte der König die Regel auf, das Kirchenvermögen gehöre der ge-
samten Kirche, nicht der einzelnen Gemeinde, und dürfe daher niemals von
den Dissidenten beansprucht werden: — einen rechtlich unhaltbaren, hoch-
gefährlichen Grundsatz, der den alten Anmaßungen der römischen Kurie ent-
gegenkam und, bis in seine letzten Forderungen durchgeführt, die Ordens-
herrschaft im Herzogtum Preußen hätte wiederherstellen müssen.*) Beson-
dere Schwierigkeiten bot die Frage der Hürgerlichen Eheschließung. Der im
Kölnischen Bischofsstreite bewährte Starrsinn der katholischen Priester, die
neuen Sektenbildungen, die mit der Freizügigkeit anwachsende konfessionelle
Mischung der Bevölkerung, die kirchliche Gleichgültigkeit breiter Volks-
schichten — kurz, alle Erfahrungen der jüngsten Jahre zwangen den Staat
geradezu, die Zivilehe in irgendwelcher Form einzuführen. Griff die Krone
rechtzeitig durch, dann konnte die unabweisbare Reform noch sehr wohl ohne
Verletzung der frommen kirchlichen Gefühle dergestalt erfolgen, daß die
bürgerliche Eheschließung nur aushilfsweise eintrat, falls die kirchliche Trau-
ung durch anerkannte Geistliche entweder verweigert oder verschmäht wurde.
Dem Könige wurden solche Gedanken aufgedrängt durch einen häß-
)) König Friedrich Wilhelm, Entwurf für die Antwort an die Akademie, 7. März
1847.
**) Thile an Eichhorn, Savigny, Bodelschwingh, Uhden, 13. Juni 1845.