Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Verhandlungen über das Toleranzedikt. 357 
keit immer nur den einen Gedanken, daß jeder nach seiner Fasson selig 
werden müsse, hin und her wendete. Gleichwohl suchten die erregten 
Hörer in jedem unschuldigen Worte eine Anzüglichkeit; auf den Bänken 
hinter dem Monarchen wurde laut gelacht, als Raumer von den gut- 
mütigen eigensinnigen Fürsten sprach, die in allem nach ihrer Über- 
zeugung regieren wollten, und von den größeren, welche den Wert der 
Persönlichkeit anerkännten. Voll Unwillens verließ der Hof den Saal. 
Die Akademie benahm sich wieder ebenso klein, wie vor Jahren, als sie 
Hegel den Einlaß verweigerte; wie damals durch persönliche Bosheit so 
ward sie jetzt durch klägliche Angst betört und richtete ein höchst unter- 
täniges, würdeloses Entschuldigungsschreiben an den Monarchen. Selbst 
Humboldt war Hofmann genug, die langweilige Rede „maßlos“ zu nennen. 
Darauf erklärte Raumer seinen Austritt, obgleich Friedrich Wilhelm sich 
bald wieder besänftigt hatte und über die „Excusen“ seiner Akademiker 
mutwillig scherzte.") 
So von allen Seiten her angefeindet, beschäftigte sich der König nur 
um so eifriger mit dem Toleranzedikte, das die Welt über die beiden 
Grundgedanken seiner Kirchenpolitik aufklären sollte: er dachte im Staate 
jedem die altpreußische Gewissensfreiheit zu sichern, aber zugleich die evan- 
gelische Kirche von allen erklärten Ungläubigen zu reinigen. Fast zwei 
Jahre lang, seit dem Juli 1845, wurde darüber beraten, im Staats- 
ministerium, im Staatsrate, auch mit mehreren Theologen. Von vorn- 
herein stellte der König die Regel auf, das Kirchenvermögen gehöre der ge- 
samten Kirche, nicht der einzelnen Gemeinde, und dürfe daher niemals von 
den Dissidenten beansprucht werden: — einen rechtlich unhaltbaren, hoch- 
gefährlichen Grundsatz, der den alten Anmaßungen der römischen Kurie ent- 
gegenkam und, bis in seine letzten Forderungen durchgeführt, die Ordens- 
herrschaft im Herzogtum Preußen hätte wiederherstellen müssen.*) Beson- 
dere Schwierigkeiten bot die Frage der Hürgerlichen Eheschließung. Der im 
Kölnischen Bischofsstreite bewährte Starrsinn der katholischen Priester, die 
neuen Sektenbildungen, die mit der Freizügigkeit anwachsende konfessionelle 
Mischung der Bevölkerung, die kirchliche Gleichgültigkeit breiter Volks- 
schichten — kurz, alle Erfahrungen der jüngsten Jahre zwangen den Staat 
geradezu, die Zivilehe in irgendwelcher Form einzuführen. Griff die Krone 
rechtzeitig durch, dann konnte die unabweisbare Reform noch sehr wohl ohne 
Verletzung der frommen kirchlichen Gefühle dergestalt erfolgen, daß die 
bürgerliche Eheschließung nur aushilfsweise eintrat, falls die kirchliche Trau- 
ung durch anerkannte Geistliche entweder verweigert oder verschmäht wurde. 
Dem Könige wurden solche Gedanken aufgedrängt durch einen häß- 
)) König Friedrich Wilhelm, Entwurf für die Antwort an die Akademie, 7. März 
1847. 
**) Thile an Eichhorn, Savigny, Bodelschwingh, Uhden, 13. Juni 1845.
	        
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