362 .V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
Eichhorn hingegen erkannte als erfahrener Geschäftsmann den Weg, der
allein zur Aufhebung des alten harten Territorialsystems führen konnte.
Es gelang ihm zwar nicht, den Monarchen von seinen geheimen Lieb-
lingsgedanken abzubringen — denn wer hätte das je vermocht? — wohl
aber bewog er ihn, die Selbständigkeit der Landeskirche zunächst durch
freiere Ausbildung ihrer bestehenden Institutionen vorzubereiten. So
wurden denn seit 1841 die im Osten fast verschwundenen Kreissynoden
neu belebt, 1844 die Provinzialsynoden einberufen. Im folgenden Jahre
erhielten die Konsistorien erweiterte Befugnisse und eigene Präsidenten,
während sie bisher fast nur die Prüfung der Kandidaten selbständig be-
sorgt, die Regierungen aber die eigentlich kirchliche Verwaltung geleitet
hatten.
Das alles geschah unter dem stillen Widerstande der Mehrzahl der
Minister; Graf Arnim und die anderen unter seinen Amtsgenossen, welche
gleich ihm früher an der Spitze einer Regierung gestanden hatten, konnten
sich, nach der alten bureaukratischen Überlieferung, unabhängige kirch-
liche Behörden gar nicht vorstellen. Bedenklicher war, daß der Monarch
selbst die gesunde, freie kirchliche Selbstverwaltung, die in Rheinland
und Westfalen aufzublühen begann, sehr mißtrauisch betrachtete.“) Diese
Presbyterien waren ihm zu modern, sie erinnerten ihn zu sehr an das
gottlose Repräsentativsystem. Nicht ihnen wollte er die Kirchenzucht an-
vertrauen, sondern allein der gläubigen Gemeinde, der „Kirche"“. Ver-
geblich wendete Thile ein, solche ganz im Glauben einige Gemeinden be-
stünden heute nur noch selten.*) Friedrich Wilhelm blieb dabei, die große
Idee des evangelischen Priestertums würde geschändet, wenn auch Gleich-
gültige und Ungläubige an den Wahlen und den Amtern teilnähmen;
niemals begriff er, daß diese idealistische Doktrin nicht ohne Heuchelei und
unevangelischen Zwang verwirklicht werden konnte. Andererseits wollte
er, aus Scheu vor der römischen Kirche, den Presbyterien des Westens
nicht einmal eine berechtigte kirchliche Notwehr gestatten; er untersagte
ihnen, pflichtvergessene Hausväter, die ihre Kinder allesamt katholisch
erziehen ließen, von den kirchlichen Amtern auszuschließen.
Doch die Zeit drängte. Angesichts der überhandnehmenden Sektiererei
und des gewaltigen Aufschwungs der ultramontanen Partei mußten die
evangelischen Landeskirchen Deutschlands versuchen, sich innerlich zu kräf-
tigen und sich untereinander fester zusammenzuschließen. Niemand empfand
dies früher als der ganz unkirchlich gesinnte, aber politisch kluge König von
Württemberg. Die klerikalen Umtriebe in seinem eigenen Lande und die
ultramontane Politik des verhaßten bayrischen Nachbarhofes beunruhigten
ihn schwer. Schon am 28. April 1843 übersendete er dem Gesandten
*) S. o. III. 403.
*7) Thile an Eichhorn, 15. Juni 1844.