Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

366 V. 4. Die Parteiung in der Kirche. 
den tragischen Wendepunkt seiner Wirksamkeit; denn es zeigte sich bald, 
daß wohl Eichhorn mit ihm übereinstimmte, doch nicht der König selbst. 
Friedrich Wilhelm begrüßte die Synode mit einer überschwenglichen 
Ansprache; er forderte sie auf, ihre Blicke über die Grenzen der Landes- 
kirche, ja selbst des evangelischen Bekenntnisses hinaus zu richten; im Geiste 
des ursprünglichen, apostolischen, allgemeinen Christentums sollte sie allen 
Christen sagen, daß Preußens evangelische Kirche die Gläubigen aller Be- 
kenntnisse zu ihrem heiligen Tische zulasse und nur der Unglaube von ihr 
scheide. Eine so scharfe Trennung der Gläubigen von den Ungläubigen 
konnten Nitzsch und seine Freunde unmöglich billigen; man bemerkte auch 
sogleich, wie sorgsam der König und sein General Thile jedes eingehende 
Gespräch mit dem verdächtigen Bonner Professor vermieden. 
Dies Mißtrauen des Monarchen steigerte sich noch, als nunmehr 
über die Lehrverpflichtung der Geistlichen beraten wurde. Die Union 
war einst nur darum durchgedrungen, weil sie lediglich eine Gemeinschaft 
des Kultus und der Sakramente, nicht eine vollständige Glaubensgemein- 
schaft darstellen wollte. Trotzdem versuchte die Generalsynode, eine Be- 
kenntnisformel für alle Geistlichen der Landeskirche aufzustellen; daneben 
sollte den einzelnen Gemeinden noch freistehen, ihre Prediger auf besondere 
Symbole zu verpflichten. Nitzsch wollte die Formel so weit fassen, daß 
jeder evangelische Christ sie annehmen, auch die lebendige Wissenschaft 
der Gegenwart nichts dawider einwenden könnte; selbst das apostolische 
Glaubensbekenntnis erschien ihm zu eng, und er entwarf, nach seiner 
subjektiven wissenschaftlichen Uberzeugung, eine noch einfachere Formel, 
welche freilich nur aus Bibelworten bestand, aber auch noch mannigfache 
Auslegungen zuließ. Das wohlgemeinte Unternehmen mußte mißlingen, 
weil sein gelehrter Urheber, trotz seiner reichen Erfahrungen im prak- 
tischen Kirchenleben, diesmal doch die Kraft des Volksglaubens doktrinär 
verkannte; die deutsche Theologie war ja die gelehrteste von allen und 
fühlte sich leicht versucht, die Macht der Wissenschaft in der Kirche zu 
überschätzen. Wagte man das Apostolicum zu vereinfachen, das älteste 
und ehrwürdigste Bekenntnis der gesamten Christenheit auch nur in der 
Form zu verändern, so wurden vielleicht einige hundert gebildete Männer 
befriedigt, die Radikalen aber nicht entwaffnet und Millionen schlicht gläu- 
biger Menschen, die doch für die Kirche genau so viel bedeuten wie die Ge- 
lehrten, in ihren frommen Gewissen beirrt. Nur ein glaubensstarker 
durch die freudige Zustimmung des gesamten evangelischen Volks ge- 
tragener und gehobener Reformator, doch wahrlich nicht dies zweifelnde 
und suchende Geschlecht durfte zu solchem Wagnis sich erkühnen. 
Sehr lebhaft traten die Konfessionellen wider den Antrag auf. Der 
pommersche Lutheraner v. Thadden-Trieglaff — ein konservativer Heiß- 
sporn, der bald nachher aus der Landeskirche ausschied — hatte keineswegs 
unrecht, als er die paradoxe Behauptung aufstellte, dieser Weg führe zur
	        
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