Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

368 V. 1. Die Parteiung in der Kirche 
tief durchdachter, wohl ausführbarer Entwurf. Die Konsistorien sollten 
fortbestehen und über ihnen noch ein Oberkonsistorium errichtet werden 
als höchste Kirchenbehörde zur Wahrung der Disziplin und Beratung. des 
Landesherrn. In jeder Gemeinde ein Presbyterium, das von allen christ- 
lichen Hausvätern, nach unmaßgeblichen Vorschlägen der Kirchenvorstände, 
frei gewählt würde. Darüber Kreis= und Provinzialsynoden, dann end- 
lich die Generalsynode, sie alle aus geistlichen und weltlichen Mitgliedern 
gemischt, aber keineswegs nach den Grundsätzen des politischen Repräsen- 
tativsystems eingerichtet, sondern also gebildet, daß der Regel nach nur 
sachkundige, im Kirchendienst erprobte Männer ihnen angehören konnten. 
Dergestalt suchte man den Gemeinden ihr gutes Recht zu geben und 
doch die völlig Gleichgültigen oder Unerfahrenen von den Synoden fern 
zu halten. Die Grundgedanken dieser Reform erwiesen sich so dauerhaft, 
so lebenskräftig, daß Emil Herrmann sie mit geringen Anderungen wieder 
aufnahm, als er ein Menschenalter später den Neubau der Kirchenver- 
fassung endlich zum Abschluß brachte.“) 
Für jetzt stand freilich nichts zu hoffen. Drei Monate hindurch 
waren die Synodalen fast Tag für Tag die hundert Stufen hinaufge- 
klommen, um droben in der alten Schloßkapelle, unbekümmert um die 
glühende Sommerhitze dieses gesegneten Weinjahres, ihre langen müh- 
seligen Sitzungen zu halten; da wurde die Versammlung am 29. August 
ohne einen Bescheid vertagt. Friedrich Wilhelm scherzte zuweilen selbst 
über seine oberstbischöfliche Gewalt, die er so gern den „rechten Händen“ 
übergeben wollte. Als er, von Staatsgeschäften überhäuft, die Synode 
mit jener unvorbereiteten Ansprache begrüßt hatte, die ihn selber nicht 
befriedigte, da schrieb er spöttisch: ein neuer Beweis, daß unser sum- 
hielt er sich verpflichtet, diese Gewale solange sie ihm noch zustand, 
rücksichtslos auszuüben, und nach seiner Überzeugung gereichten die Be- 
schlüsse der Generalsynode wahrlich nicht zum Heile der Kirche: die neue 
Ordinationsformel schien ihm unchristlich, und darum betrachtete er auch 
den Verfassungsentwurf mit Argwohn. Nur ungern erlaubte er einige 
Monate später, auf Eichhorns dringende Bitten, daß Nitzsch als Probst 
nach Berlin berufen wurde; nach wie vor vermied er jede nähere Be- 
rührung mit dem Manne, den er für den Führer der kirchlichen Oppo- 
sition ansah, und niemals konnte Nitzsch in Berlin wieder eine so frucht- 
bare Wirksamkeit erlangen wie einst am Rhein. Ganz vergeblich bemühte 
sich der Minister um die Bestätigung der Synodalbeschlüsse. Inzwischen 
fuhr Hengstenberg mit seinen Anklagen fort, und der ehrwürdige alte 
  
*) Dies ergibt sich von selbst aus einer Vergleichung und ist mir auch von meinem 
verstorbenen Freunde E. Herrmann in manchen Gesprächen versichert worden. 
**) König Friedrich Wilhelm an Thile, 13. Juni 1846. v
	        
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