Politische Lyrik. Herwegh. 373
verfielen darum, wie die Worte des Staatsmannes und des Publizisten,
dem Lose der Vergänglichkeit. Sobald die Politik in neue Bahnen ein—
lenkte, erschienen sie überwunden und abgetan, während das reine Kunst—
werk, eine Welt für sich selber, der Zeit zu trotzen vermag; und schon
heute verstehen die Rückschauenden schwer, daß in der flüchtigen, doch nicht
hohlen Erscheinung dieser Zeitgedichte die nationale Sehnsucht eines
langsam zum politischen Wollen erstarkenden Geschlechtes ihren natür—
lichen Ausdruck fand.
Im Grunde war keiner der jungen Zeitpoeten an eigenen Gedanken
und ursprünglicher Empfindung so arm wie der berühmteste von allen,
Georg Herwegh. Man nannte ihn die Lerche des deutschen Völkerfrüh=
lings, weil die Gedichte eines Lebendigen, zum ersten Male nach Anasta-
sius Grüns Wiener Spaziergängen, die politische Begeisterung vom Aus-
lande hinweg wieder zu den vaterländischen Kämpfen zurücklenkten.
Schmetternd, sinnverwirrend erklangen diese ungestümen Weckrufe; prahle-
rische, unmögliche Hyperbeln, die in den wohlgeglätteten Versen nur um so
drastischer wirkten, verstärkten noch den Eindruck, als wollte ein rasender
Titane ein versinkendes Volk zum letzten Verzweiflungskampfe aufbieten:
Reißt die Kreuze aus der Erden!
Alle sollen Schwerter werden,
Gott im Himmel wird's verzeih'n!
Doch der tiefe, ernste Inhalt fehlte. Fast überall nur eine fieberische Un-
geduld, die aus der Langeweile der Gegenwart hinausdrängte und zornig
drohend irgend eine unbestimmte Herrlichkeit, bald den Aufruhr schlechthin,
bald den Krieg mit Russen und Franzosen, bald auch die Verbrüderung
aller freien Völker forderte. Am glücklichsten zeigte sich die lyrische Be-
gabung des Poeten in den eingestreuten unpolitischen Gedichten: wenn er
die Todesahnung der ins Morgengrauen hinaussprengenden Reiter aus-
sprach oder in einem sentimentalen, aber stimmungsvollen Klageliede sich
wünschte, hinzugehen wie das Abendrot und wie der Tag in seinen letzten
Gluten. Seine politischen Ideen hatte er fast durchweg aus Börnes Schrif-
ten geschöpft, und unter den Kämpfern der deutschen Vorzeit stand ihm
keiner höher als „unser Heiland“ Ulrich von Hutten. Das trotzige
„Ich hab's gewagt“ des fahrenden Ritters hallte in unzähligen Gedichten
und Zeitungsaufsätzen nach, der feurige, unklare politische Idealismus
des sechzehnten Jahrhunderts sagte dieser unkirchlichen Zeit zu, während
Luthers religiöse Gewissenskämpfe ihr fremd blieben. Mit dem gedanken-
reichen Tiefsinn der Schwaben hatte Herweghs oberflächliche, schnell-
fertige Keckheit nichts gemein; darum galt er auch in seiner Heimat
weniger als im Norden, und der erste Kunstkenner Schwabens, Friedrich
Vischer urteilte, selbst ein Radikaler, in seinen geistvollen „Kritischen
Gängen“ sehr hart über die dürftige Gestaltungskraft dieses Dichters der
hohen Worte. Herwegh gab sich früh aus; er zählte zu den Blendern,