Die Amnestie. 31
früherer Jahrhunderte sei. Dann wurde General Boyen, der lange miß-
handelte, durch ein überaus gnädiges Handschreiben in den Staatsrat
zurückgerufen, und alle Welt betrachtete diese erste Tat der neuen Re-
gierung als ein Zugeständnis an den Liberalismus. Gleich darauf durfte
Arndt wieder in sein Lehramt eintreten; mit hellem Jubel begrüßten die
Bonner Gelehrten den treuen Mann — nur A. W. Schlegel, der alte
Feind, hielt sich abseits — und erwählten ihn sogleich zum Rektor für
das nächste Jahr. Keinen Augenblick war er irre geworden an seinem
Staate; mitten im Elend der unverschuldeten Verfolgung hatte er seinem
Vaterlande zugesungen:
Du wirst Jahrtausende durchblüh'n
In deutscher Treue, deutschen Ehren.
Wir Kurzen müssen hinnen zieh’n,
Doch Liebe wird unsterblich währen.
Nun ward ihm doch noch ein ehrenreiches, durch die Liebe seiner Deut-
schen verklärtes Alter. Auch der alte Jahn wurde der polizeilichen Auf-
sicht entledigt und nachträglich noch mit dem eisernen Kreuze geschmückt.
Am 10. August unterzeichnete Friedrich Wilhelm eine Verordnung, welche
allen politischen Verbrechern Amnestie gewährte, auch den Flüchtlingen,
falls sie heimkehrten, Begnadigung versprach. Der Erlaß sollte erst einen
Monat später, zur Feier der Huldigung veröffentlicht werden; das weiche
Gemüt des Königs fand aber keine Ruhe, unverzüglich ließ er die Kerker
öffnen und vielen der Befreiten gewährte er Anstellung im Staatsdienste.
Diese Milde gereichte seinem Herzen zu hoher Ehre; denn an die Schuld
der Mehrzahl der Gefangenen glaubte er ebenso fest wie sein Vater. Die
düstere Zeit der politischen Verfolgungen ging also zu Ende, nicht ohne ein
schauerliches Nachspiel. Zur selben Zeit, da die Demagogen frei kamen,
verfiel der boshafteste ihrer Peiniger, Geheimer Rat Tzschoppe, in schwere
Geisteskrankheit; der Unselige wähnte sich verfolgt von allen den Armen,
denen er die Jugend verwüstet hatte, und starb bald nachher im Irrsinn.
Leider zeigte sich auch schon jetzt, wie gefährlich die Herzensgüte des
Monarchen wirken konnte. In einer Aufwallung brüderlicher Liebe betraute
er den Prinzen Wilhelm, der den friderizianischen Titel eines Prinzen
von Preußen erhielt, mit dem Vorsitze im Staatsministerium und im
Staatsrate. Er hoffte, sein Bruder würde einfach in die Stellung ein—
rücken, welche er selbst bisher als Kronprinz eingenommen hatte. Aber
trotz seiner Ehrfurcht vor dem Träger der Krone konnte der Prinz von
Preußen hinter dem nur wenig älteren Könige unmöglich ebenso bescheiden
zurücktreten, wie es der alte Herr von seinen Söhnen verlangt hatte,
der Gegensatz des Charakters und der Gesinnung, der die beiden Brüder
trennte, mußte an den Tag kommen, und schon die nächsten Wochen lehrten,
daß das Amt eines Ministerpräsidenten für einen Thronfolger zugleich zu
niedrig und zu mächtig ist.