400 V. 5. Realismus in Kunst und Wissenschaft.
daß die monumentale Malerei, die er immer für die wahrhaft deutsche
Kunst erklärt hatte, in allen diesen Jahren nur noch einen hochbegabten
Jünger fand: den Rheinländer Alfred Rethel, der sich ganz unabhängig,
mehr durch Dürer und Holbein als durch moderne Meister belehrt, zum
Historienmaler hohen Stils herangebildet hatte und in seinen Kartons
zur Geschichte Karls des Großen, tiefsinnig wie Cornelius, aber ohne jede
symbolische Zutat, einfach die Männer und die Waffen selber reden ließ.
Die Majestät ruhiger Männerschönheit verstand Rethel ebenso lebendig
darzustellen wie den teuflischen Reiz der Sünde. Nur der ausdrückliche
Befehl des Königs ermöglichte ihm, diese herrlichen Bilder im Aachener
Rathaussaale auszuführen; der Stadtrat der alten Karolingerstadt —
zu solchem Wahnsinn hatte sich der kirchliche Haß seit dem rheinischen
Bischofsstreite schon gesteigert — wollte die gegebene Zusage zurücknehmen,
weil der mitten im alten „Reiche von Aachen“ geborene Künstler zufällig
Protestant war, was man seinen Gemälden doch nirgends anmerkte.
Mittlerweile zog einer der treuesten Schüler von Cornelius, Julius
Schnorr von Carolsfeld aus München hinweg, nachdem er noch den Zyklus
seiner Nibelungenbilder vollendet hatte — dann immer glücklich, wenn
ihm der ewig drängende König Ludwig einmal erlaubte, die üblichen Gewohn-
heiten der verrufenen Münchener Eilkunst zu verlassen und seine groß-
gedachten Entwürfe gründlich durchzubilden. Da ihm jetzt, in der sächsischen
Heimat kein monumentales Gemälde mehr aufgetragen wurde, so begann
er an dem lang vorbereiteten Unternehmen zu arbeiten, das allein unter
allen Werken der Cornelianer sich die Gunst des Volks erwerben, diese
hocharistokratische Kunst dem Verständnis der Massen näher bringen sollte:
an seiner „Bibel in Bildern“. Ganz durchdrungen von dem Schillerschen
Gedanken der ästhetischen Erziehung des Menschengeschlechts wollte er in
kräftigen frischen Zügen dem Volke die heilige Weltgeschichte vor das Auge
führen; der Holzschnitt galt ihm als ein Freskobild im kleinen, als eine
Kunstform, die dem Zeichner erlaubte, sich an die großen Grundzüge der
Handlung zu halten, und nach der Weise der alten Italiener gab er seinen
heiligen Gestalten, den Realismus der malerischen Reisebeschreiber ver-
schmähend, in Gewand und Gesicht den idealen, „urweltlichen“ Charakter,
der sie nicht als Semiten, sondern als Träger allgemeingültiger, mensch-
licher Empfindungen erscheinen ließ. So entstand in langen Jahren ein
echtes Volksbuch, erhaben zugleich und gemeinverständlich, unverkennbar
protestantisch und doch nach deutscher Art im Geiste des allgemeinen
Christentums gehalten, das schönste Vermächtnis, das die alte idealistische
Kunst in ihrem Niedergange noch unseren Mittelständen hinterlassen hat.
Schwind, der dem alten Meister immer die Treue bewahrte, wußte
doch als begeisterter Musiker sehr wohl, daß jeder nur singen kann, wie
ihm der Schnabel gewachsen ist, und gestaltete sich aus den deutschen
Märchen und Sagen seine eigene klassisch-romantische Bilderwelt. Auch