34 V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
war der Krieg erst im Gange, so ließ sich von der so oft, so glorreich be-
währten Vaterlandsliebe der Preußen mit Sicherheit erwarten, daß ihr
Reichstag notwendige Kriegsanleihen nicht verweigern würde.
Von solchen Zweifeln gepeinigt, hatte Friedrich Wilhelm einen be-
stimmten Entschluß noch nicht gefunden; nur das eine sagte ihm seine
richtige Empfindung, daß der große Augenblick der Huldigung benutzt
werden mußte, um durch einen freien königlichen Befehl die Verfassungs-
frage sofort zu entscheiden. Da wurde ihm zur unglücklichen Stunde
jener Testamentsentwurf übergeben, welchen der Vater kurz vor seinem
Ableben dem Fürsten Wittgenstein anvertraut hatte.*) Darin war vor-
geschrieben, daß nur im Falle der Aufnahme einer neuen Anleihe ein
Vereinigter Landtag aus 32 Abgeordneten der Provinziallandtage und
ebenso vielen Mitgliedern des Staatsrats gebildet werden dürfte; über-
dies verlangte der alte Herr für jede Anderung der ständischen Verfassung
die Zustimmung der Agnaten. Daß diese Aufzeichnungen im großen und
ganzen der Ansicht des verstorbenen Königs entsprachen, ließ sich nicht
bestreiten. Aber sie waren rechtlich unwirksam, da sie weder Unterschrift
noch Datum trugen, und konnten nur als ein väterlicher Rat und
Wunsch, nicht als ein bindendes Testament betrachtet werden, obgleich das
Allgemeine Landrecht die letztwilligen Verordnungen der Mitglieder des
königlichen Hauses als privilegierte Testamente von den üblichen Förm-
lichkeiten befreite; denn immer blieb die Frage offen, ob die Willens-
meinung des Monarchen genau wiedergegeben sei. Der neue König zwei-
felte lange, wie er sich zu den Verfügungen des Vaters zu verhalten habe;
er ließ alles, was sie über das Hausvermögen anordneten, gewissenhaft
ausführen und teilte das Aktenstück seinen Brüdern mit. Da erwi-
derte ihm der Prinz von Preußen sehr ernst, die Willensmeinung des
Vaters müsse trotz ihrer mangelhaften Form unbedingt geachtet werden,
ohne die Zustimmung aller erwachsenen königlichen Prinzen sei fortan jede
Verfassungsänderung unzulässig.
Alsogemahnt entschloß sich Friedrich Wilhelm, sofort bei der Huldigung
die beabsichtigte Einberufung des seltsamen Landtags von 64 Mitglie-
dern anzukündigen, obgleich eine neue Anleihe zur Zeit gar nicht nötig
war; auch eine Übersicht des Staatshaushaltes wollte er den zur Huldi-
gung versammelten Provinzialständen vorlegen und ihnen mitteilen, daß
er seinem treuen Volke zur Morgengabe einen Steuererlaß zu gewähren
denke. Durch solche freie Bewilligungen — so rechnete er — würden die
Stände leicht gewonnen werden und sich gern entschließen, dafür auf die
verheißene regelmäßige Berufung des Reichstags zu verzichten. Waren
dergestalt die Befehle des Vaters mit Genehmigung der Agnaten aus-
geführt, so konnte vielleicht später einmal, nach dem Ermessen der Krone,
*) S. o. IV. 725. 753.