Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

460 V. 6. Wachstum und Siechtum der Volkswirtschaft. 
gemäß (less obvious).)) Überdies war der Lord mit Guizot persönlich 
befreundet; ein minder befangener Beobachter als Bunsen hätte auch leicht 
einsehen müssen, daß weder England noch Osterreich ernstlich beabsichtigen 
konnte, die Politik des deutschen Zollvereins zu unterstützen. Das Er- 
starken der Mitte Europas schien allen Mächten gleich bedrohlich. 
Der preußische Staat sah sich mithin auf seine eigene Kraft ange- 
wiesen, und er besaß, wie die Dinge lagen, nur eine Waffe, um den bel- 
gisch-französischen Zollverein zu verhindern: er mußte den Belgiern einen 
Handelsvertrag anbieten, der ihnen die Annahme des französischen Zoll- 
systems unmöglich machte. Zu diesem Zwecke wurden in Brüssel lang- 
wierige Unterhandlungen eingeleitet. Ihr Verlauf bewies, daß König Leo- 
pold und sein gewandter Minister Nothomb das Schreckbild des französi- 
schen Zollvereins wesentlich als ein Mittel benutzten, um auf Deutschland 
zu drücken. Als die Verhandlung begann, versicherte Leopold seinem 
Neffen zu Windsor inbrünstig, der französische Plan sei jetzt gänzlich aufge- 
geben; als sie nachher ins Stocken kam und Preußen sich sogar genötigt 
sah, die Zollbelästigungen des kleinen Nachbarlandes durch kräftige Retor- 
sionen zu beantworten, da tauchte der französische Zollvereinsgedanke plötz- 
lich wieder auf.*) Dem Koburgischen Voltenschläger konnte niemand so 
leicht in die Karten sehen, und da er auch auf Frankreichs Hilfe sicher rech- 
nen durfte, so befand sich Preußen in einer schwierigen diplomatischen Lage. 
Gesandter in Brüssel war Frhr. Heinrich v. Arnim, einer von den 
romantischen Jugendfreunden des Königs. Er hatte einst die Salons der 
Wilhelmstraße durch Geist und Witz, durch beredte Verteidigung der Hal- 
lerschen Staatslehre entzückt, neuerdings aber, belehrt durch die Erfahrung, 
sich liberaleren Anschauungen zugewendet. Von Deutschlands künftiger 
Macht und Herrlichkeit dachte er immer groß. Ebenso ehrgeizig als talent- 
voll verstand er in der vornehmen Welt scharf zu beobachten, auch mit Ge- 
lehrten gut auszukommen; begabte junge Männer fühlten sich von seiner 
anregenden Liebenswürdigkeit unwiderstehlich angezogen. Leider lag in 
seiner Natur ein phantastischer, halb närrischer Zug, der sich gemeinhin nur 
in sonderbaren naturphilosophischen Liebhabereien und in einem strengen 
Pietismus bekundete, zuweilen aber auch politisch gefährlich wurde. Arnim 
liebte die Häfen und die Fabriken zu bereisen und sagte stolz: „Nationalöko- 
nomie ist meine Spezialität,“ ) obwohl seine volkswirtschaftliche Sach- 
kenntnis nicht weit über das Wissen eines vornehmen Dilettanten hinaus- 
ging; er stand den Ideen Rönnes nahe und verkehrte auch mit List, der ein- 
mal selbst nach Brüssel hinüberkam, um bei den Verhandlungen mitzuwir- 
ken. Dem Minister Nothomb erklärte Arnim offen, aus politischen Gründen 
*) Bunsens Berichte, 12. Juli, 6. Dez. 1842. Aberdeen an Bunsen, 24. Mai 1842. 
**) Berichte aus London, von Bunsen 17. Juli 1843, von Thile d. J. 19. Aprik 
1847. 
**) Arnim an Canitz, 9. Juni 1847.
	        
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