Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Schön und die Altpreußen. 41 
den alljährlichen Belle-Alliance-Festen auf dem Galtgarbenberge verherr— 
lichten Dickert, Falkson und andere jugendliche Redner die künftige preußi— 
sche Verfassung. Als nun die Kunde von dem Thronwechsel kam, da 
fanden die verhaltenen Wünsche den Atem wieder; die Provinz hoffte, 
alles werde jetzt anders und besser werden, die einen erwarteten ein 
unbestimmtes politisches Glück, andere eine Erleichterung des Druckes der 
russischen Grenzsperre, fast alle aber sahen in Schön den Staatsmann 
der Zukunft. 
Und mochte er es auch ableugnen, unmöglich konnte er selbst solchen 
Hoffnungen fremd bleiben. Wie oft hatte er, alle diese Jahre über, ein 
Kabinett, „das vor dem Volke stehe“, gefordert. Die bisherigen Minister 
schienen ihm allesamt verächtlich, am verächtlichsten Rochow, der sein un- 
glückliches Wort vom beschränkten Untertanenverstande der altpreußischen 
Stadt Elbing zugeschleudert und also den reizbaren Provinzialstolz töd- 
lich beleidigt hatte. Diesen Abscheu erwiderten die Beamten der Berliner 
Zentralstellen, ohne Unterschied der Partei, aus Herzensgrunde; sie alle 
hatten unter Schöns schroffer Tadelsucht viel gelitten und oft beklagt, daß 
der alte König ihm alles nachsah. Der liberale Kühne, der mit dem 
erklärten Gegner des Zollvereins in beständiger Fehde lebte, sagte in 
seinen Erinnerungsblättern geradezu: „Nie hat, soweit meine Bekannt- 
schaft reicht, das Prinzip der Lüge und Falschheit eine vollständigere Ver- 
körperung erlangt als in diesem Manne.“ War es nicht natürlich, daß 
Schön diese seine geschworenen Feinde durch Männer seines Vertrauens 
zu verdrängen hoffte? Mit dem neuen Könige verband ihn eine lang- 
jährige Freundschaft, die allerdings, wie vormals Friedrich Wilhelms Ver- 
hältnis zu Niebuhr, nicht auf wirklicher Gesinnungsgemeinschaft ruhte, also 
ernste Prüfungen schwerlich aushalten konnte. In seinen sittlichen Grund- 
anschauungen hatte der rationalistische Kantianer, der Gegner der histori- 
schen Schule mit demchristlich germanischen Monarchen wenig gemein. Seit 
seinen Kämpfen mit den Muckern war Schön in seinem Aufklärungs-Eifer 
immer fanatischer geworden und behauptete jetzt geradezu: „das rohe 
Gefühlsleben in den Formen der positiven Kirche schließt die Intelligenz 
aus;“ stolz stellte er der Heuchelei der Jesuiten, Herrnhuter und Pietisten, 
die ihm alle gleich galten, sein eigenes „einfaches Christentum“ ent- 
gegen, obwohl er in seiner Selbstüberhebung die christlichen Tugenden 
der Liebe, der Demut, der Wahrhaftigkeit mehr und mehr verlernte. Aber 
beide waren mit Niebuhr befreundet gewesen und erwärmten sich gern 
an den großen Erinnerungen des Befreiungskrieges, beide schwärmten für 
England, beide liebten leidenschaftlich das tapfere Volk des Ordenslandes 
und haßten die Bureaukratie der Hauptstadt; auch hatten sie schon oft zu- 
sammengearbeitet, bei dem Wiederaufbau der Marienburg und nachher i in 
den ständischen Angelegenheiten. Dem Kronprinzen war es immer eine 
Freude, wenn er, gestützt auf das Fürwort des Oberpräsidenten, die An-
	        
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