44 V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
und es war nur menschlich, daß der starke Bürgerstolz der Oberdeutschen
adlige und reaktionäre Gesinnung fast für gleichbedeutend hielt. Hier
aber trat ein patriotischer Adel hervor, fest verwachsen mit seinem Staate,
königstreu durch und durch, stolz auf die kriegerischen Erinnerungen der
schwarz-weißen Fahnen des Deutschen Ordens und des Königreichs Preußen,
und dabei altväterisch einfach, unabhängig, freimütig bis zur Schroffheit,
bei weitem nicht so radikal wie die Kammerredner des Südens, immerhin
sehr empfänglich für die liberalen Ideen des Zeitalters. Wer diesen Männern
herzhaft in die Augen sah, der mußte erkennen, daß Preußen an gesunden
konservativen Kräften genug besaß, um eine notwendige Reform getrost
wagen zu können — wenn nur der König selber voranschritt. In den
Verhandlungen des Landtags trat die politische Unreife der Zeit oft genug
zu Tage; Heinrich selbst wußte in seinem Antrage zwischen der Asse-
kurationsakte des großen Kurfürsten und den neuen königlichen Verhei-
Pßungen, die doch auf einem ganz anderen staatsrechtlichen Boden standen,
noch nicht scharf zu unterscheiden. Aber keine einzige unehrerbietige Auße-
rung wurde laut, alle wetteiferten in Beteuerungen unverbrüchlicher Treue,
und mitten unter unklaren, leeren Reden fiel doch schon das entscheidende
Wort, worauf alles ankam: der preußische Reichstag werde dem Könige
das sicherste und vielleicht einzige Mittel darbieten, die durch Raum,
Sprache und Sitte vielfach getrennten Stämme seines Volks zu einen.
Nach ernster, gründlicher Beratung genehmigte die Versammlung am
7. Sept. mit 89 gegen 5, durchweg adlige, Stimmen die Denkschrift,
welche den König um die Aufrechterhaltung und Vollendung der von seinem
Vater neugegründeten verfassungsmäßigen Vertretung des Landes bat. Der
Landtag gab sich der Hoffnung hin, daß Se. Majestät nicht anstehen würde,
„das fortdauernde Bestehen der Provinzialstände, und in den Wegen des
Vaters wandelnd, die verheißene Bildung einer Versammlung von Landes-
repräsentanten Ihrem getreuen Volke allergnädigst zuzusichern“. Die Stände
sagten nichts, was ihnen nicht zustand, sie gaben nur eine ehrerbietige
Antwort auf eine königliche Frage, und wenn eine solche öffentliche Mahnung
das Ansehen der Krone allerdings leicht gefährden konnte, so trug die
Schuld der König selbst, der nicht verstanden hatte, zur rechten Zeit die
rechte Entscheidung zu geben. Durch diesen Beschluß ward das Eis ge-
brochen, der vor siebzehn Jahren notdürftig beschwichtigte preußische Ver-
fassungskampf von neuem entfesselt.
Am Hofe fühlte man dies sogleich. Allgemein war die Entrüstung.
Der Prinz von Preußen, der noch ganz in den streng absolutistischen
Grundsätzen des Vaters befangen war, richtete, sobald er von dem Vor-
haben der Stände erfuhr, noch am 7. Sept. einen scharfen Brief an
Schön: „Es ist in meinen Augen die höchste Illoyalität, einem neuen
Souverän beim Antritt seiner Regierung Garantien abzufordern; und
wenn selbst der selige König 1815 solche in Aussicht stellte, so blieb es