Merckels Entlassung. Die Notjahre. 521
ist, deren Vorfahren die Rolle der Straßenräuber, der Mordbrenner so
schön spielten. . . Wenn die Statuen der Könige in Trümmer stürzen, wird
euer Name sich mischen in den Sturm der Elemente und wie Donnergebrüll
den letzten Tyrannen erschrecken, in der Mitte seiner gezwungenen Schar—
wächter, vom Lager, daß er zittere vor der erwachten Menschheit und
fliehe wie ein Knabe.“ Der König sendete sofort den Geh. Rat Mathis
als Kommissar hinüber; in dessen Gefolge befand sich der junge schlaue
Referendar Stieber, der hier zum ersten Male seinen polizeilichen Spür—
sinn bewährte. Im Verdachte der Mitwissenschaft stand außer dem un—
ermüdlichen demagogischen Schulmeister Wander 7) vornehmlich der Fabri—
kant Schlöffel in Eichberg, ein grimmiger Radikaler, der mit den Schweizer
Flüchtlingen viel verkehrte. Der greise Oberpräsident aber wollte dem ange-
sehenen Fabrikanten eine solche Torheit doch nicht zutrauen; er behandelte
Schlöffel gütig, hielt ihn nur kurze Zeit in Haft. Deshalb entspann sich
zwischen Merckel und Mathis ein heftiger Streit, und der König, der schon
über die saumselige Behandlung der Webernöte aufgebracht war, verfügte
nunmehr die Entlassung des Oberpräsidenten. Merckel hatte ihn früher ge-
beten, er möge es ihm selber sagen, wenn er zu seiner physischen oder
moralischen Kraft kein Vertrauen mehr hege. Nun mußte der Minister des
Innern kurzweg schreiben: dieser Zeitpunkt ist jetzt eingetreten, Se.
Majestät sind von der Unzulässigkeit der bisherigen Verwaltung des Ober-
präsidiums ganz überzeugt.7) So trat der Mann zurück, der seit mehr
denn einem Menschenalter allen Schlesiern für das natürliche Haupt der
Provinz galt und namentlich während seiner zweiten Amtsführung sich
das allgemeine Vertrauen erworben hatte. Jetzt feierte man ihn, begreif-
lich genug, als ein Opfer der Reaktion. In einem gerührten Abschieds-
schreiben dankte er für die zahllosen Beweise der Liebe seiner schlesischen
„Vaterlandsgenossen“. Der Erfolg der Untersuchung schien ihm recht zu
geben. Schlöffel wurde freigesprochen, da sich nichts Sicheres erweisen
ließ; nur Wurm mußte, zum Tode verurteilt, ins Zuchthaus gehen.
Dann brach über ganz Deutschland eine jener schweren Teuerungs-
zeiten herein, welche in der Geschichte fast regelmäßig den Revolutionen vor-
angehen. Die Ernte der Jahre 1846 und 47 mißriet so gänzlich, daß
der Zollverein, dessen Getreidehandel sonst immer eine starke Mehrausfuhr
aufwies, im ersten Jahre fast 2,9 Mill., im zweiten 5 Mill. Scheffel Roggen
mehr, als die Ausfuhr betrug, einführen mußte. Am durchschnittlichen
Ertrage der Roggenernte fehlte in Mitteldeutschland fast ein Viertel. Und
was für unnatürliche Zustände in den einzelnen Landesteilen! Die halb-
verhungerten Ostpreußen mußten, weil sie selber nicht zahlen konnten, den
*) S. o. V. 241.
**) Kabinettsordre an Geh. Rat Mathis, 18. März; Schlöffel an Merckel, 18. März,
Antwort 19. März; Berichte an den König, vom Minister Graf Arnim 24. März, von
Mathis 9. April; Thile, Weisung an Graf Arnim, 26. April 1845.