Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Merckels Entlassung. Die Notjahre. 521 
ist, deren Vorfahren die Rolle der Straßenräuber, der Mordbrenner so 
schön spielten. . . Wenn die Statuen der Könige in Trümmer stürzen, wird 
euer Name sich mischen in den Sturm der Elemente und wie Donnergebrüll 
den letzten Tyrannen erschrecken, in der Mitte seiner gezwungenen Schar— 
wächter, vom Lager, daß er zittere vor der erwachten Menschheit und 
fliehe wie ein Knabe.“ Der König sendete sofort den Geh. Rat Mathis 
als Kommissar hinüber; in dessen Gefolge befand sich der junge schlaue 
Referendar Stieber, der hier zum ersten Male seinen polizeilichen Spür— 
sinn bewährte. Im Verdachte der Mitwissenschaft stand außer dem un— 
ermüdlichen demagogischen Schulmeister Wander 7) vornehmlich der Fabri— 
kant Schlöffel in Eichberg, ein grimmiger Radikaler, der mit den Schweizer 
Flüchtlingen viel verkehrte. Der greise Oberpräsident aber wollte dem ange- 
sehenen Fabrikanten eine solche Torheit doch nicht zutrauen; er behandelte 
Schlöffel gütig, hielt ihn nur kurze Zeit in Haft. Deshalb entspann sich 
zwischen Merckel und Mathis ein heftiger Streit, und der König, der schon 
über die saumselige Behandlung der Webernöte aufgebracht war, verfügte 
nunmehr die Entlassung des Oberpräsidenten. Merckel hatte ihn früher ge- 
beten, er möge es ihm selber sagen, wenn er zu seiner physischen oder 
moralischen Kraft kein Vertrauen mehr hege. Nun mußte der Minister des 
Innern kurzweg schreiben: dieser Zeitpunkt ist jetzt eingetreten, Se. 
Majestät sind von der Unzulässigkeit der bisherigen Verwaltung des Ober- 
präsidiums ganz überzeugt.7) So trat der Mann zurück, der seit mehr 
denn einem Menschenalter allen Schlesiern für das natürliche Haupt der 
Provinz galt und namentlich während seiner zweiten Amtsführung sich 
das allgemeine Vertrauen erworben hatte. Jetzt feierte man ihn, begreif- 
lich genug, als ein Opfer der Reaktion. In einem gerührten Abschieds- 
schreiben dankte er für die zahllosen Beweise der Liebe seiner schlesischen 
„Vaterlandsgenossen“. Der Erfolg der Untersuchung schien ihm recht zu 
geben. Schlöffel wurde freigesprochen, da sich nichts Sicheres erweisen 
ließ; nur Wurm mußte, zum Tode verurteilt, ins Zuchthaus gehen. 
Dann brach über ganz Deutschland eine jener schweren Teuerungs- 
zeiten herein, welche in der Geschichte fast regelmäßig den Revolutionen vor- 
angehen. Die Ernte der Jahre 1846 und 47 mißriet so gänzlich, daß 
der Zollverein, dessen Getreidehandel sonst immer eine starke Mehrausfuhr 
aufwies, im ersten Jahre fast 2,9 Mill., im zweiten 5 Mill. Scheffel Roggen 
mehr, als die Ausfuhr betrug, einführen mußte. Am durchschnittlichen 
Ertrage der Roggenernte fehlte in Mitteldeutschland fast ein Viertel. Und 
was für unnatürliche Zustände in den einzelnen Landesteilen! Die halb- 
verhungerten Ostpreußen mußten, weil sie selber nicht zahlen konnten, den 
*) S. o. V. 241. 
**) Kabinettsordre an Geh. Rat Mathis, 18. März; Schlöffel an Merckel, 18. März, 
Antwort 19. März; Berichte an den König, vom Minister Graf Arnim 24. März, von 
Mathis 9. April; Thile, Weisung an Graf Arnim, 26. April 1845. 
 
	        
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