Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Huldigung in Königsberg. 47 
Posener Landtagsmarschall Graf Poninski versagte sich's nicht sehr deutlich 
zu erinnern an „die erhabenen, väterlichen Worte des großen Königs“, der 
seinen polnischen Untertanen verheißen habe, ihnen Volkstümlichkeit und 
Sprache zu wahren. Als darauf die Eidesformel verlesen wurde, klang 
plötzlich durch die feierliche Stille grell und schneidend, wohl zehnmal 
wiederholt, der Warnungsruf eines wahnsinnigen Weibes: Schwört nicht, 
schwört nicht! Der unheimliche Eindruck der Störung ward aber sogleich 
vergessen, als der König vom Throne aufstand und, die Rechte feierlich 
erhoben, vor allem Volke gelobte, ein gerechter Richter, ein treuer, sorg— 
fältiger, barmherziger Fürst, ein christlicher König zu sein. Dann pries 
er in hochbegeisterten Worten dies Preußen, seine Wehrhaftigkeit ohne— 
gleichen und die Einheit von Fürst und Volk: „So wolle Gott unser 
preußisches Vaterland sich selbst, Deutschland und der Welt erhalten! 
Mannigfach und doch eines. Wie das edle Erz, das aus vielen Metallen 
zusammengeschmolzen, nur ein einziges edelstes ist, keinem anderen Roste 
unterworfen als dem verschönernden der Jahrhunderte.“ Unbeschreiblich 
war die Wirkung dieses rhetorischen Meisterwerkes, das wie alle Werke 
geborener Redner den Hörenden noch viel herrlicher erschien als später— 
hin den Lesenden; fast niemand fragte nüchtern, ob denn alle diese 
schwungvollen Beteuerungen, alle diese prächtigen Bilder irgend einen 
greifbaren politischen Inhalt hätten. Einer der neuen politischen Lyriker, 
der Student Rudolf Gottschall sang: 
Das Volk 
Steht wie Danae in heißem Wollustsehnen, Glutverlangen, 
Seiner Worte goldnen Regen in dem Schoße zu empfangen! 
Alles schwamm in Freuden, und noch einige Tage hindurch währte der 
bacchantische Taumel. 
Währenddem zeigte sich aber schon wieder die mühsam verhaltene poli— 
tische Feindseligkeit. Umsonst hatte Graf Poninski seine rührsamen Be— 
merkungen über die treuen Polen nicht ausgesprochen. Die polnischen Abge— 
ordneten berieten untereinander über eine Adresse an den König, und da 
sie, wie gewöhnlich, nicht einig wurden, so erbat sich Graf Eduard Raczynski 
als alter Freund Friedrich Wilhelms eine Audienz. Mit sarmatischer Fein— 
heit wußte er die weiche Stimmung der Königs, der jetzt ganz in Tränen 
der Rührung zerfloß, zu benutzen und hielt ihm noch einmal alle die schon 
so oft auf den Provinziallandtagen besprochenen Klagen der Polen vor: der 
weiße Adler und der Name eines Großherzogtums würden der Provinz 
versagt, das Deutschtum bevorzugt, die polnische Sprache in den Schulen 
wie bei den Behörden zurückgesetzt, von polnischen Beamten nur eine kleine 
Zahl angestellt. Es war, trotz der ehrerbietigen Form, eine scharfe An— 
klage gegen das Regiment des tapferen Flottwell.“) Der König verlangte 
  
*) Denkschriften von Grolman und Flottwell, 6.Okt., von Thile, 23. 29. Dez. 1840.
	        
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