546 V. 7. Polen und Schleswigholstein.
russischen Gesandten Medem mit und fügte hochmütig hinzu: wenn Preußen
widerspricht, so gehen wir darüber hinweg (nous nous passerons de la
Prusse). So rücksichtslos wollte der Zar doch nicht verfahren. Er schrieb
seinem Schwager: nach allem, was geschehen, müsse man sich freundschaft—
lich über die unumgängliche Vernichtung Krakaus verständigen, „um ein—
mal für allemal die verbrecherischen Anschläge zu vernichten;“ darum solle
sein General Graf Berg, ein ehrenhafter, in Preußen wohlbekannter Deut—
scher demnächst nach Berlin kommen.) Auf Nikolaus' Wunsch kündigte
auch Kaiser Ferdinand an, daß er seinen erprobten Unterhändler, den
General Ficquelmont in die preußische Hauptstadt absenden wolle, und zu-
gleich suchte Metternich das weiche Gemüt seines königlichen Freundes
durch einen lehrhaften Brief zu bearbeiten: „Zu meiner moralischen
Gestaltung gehört nebst manch anderen Hin= und Abneigungen die Hin-
neigung zu den Sachen und die Scheue vor schalen oder gediegen schei-
nenden, aber in der Tat leeren Worten. Zu den letzteren gehört heute
der Nationalismus und dessen direkte Anwendung auf den Polonismus.
Mit den beiden Worten kann der gesamte Stand aller Weltreiche bis
zu den kleinsten politischen Körpern nicht nur in Frage gestellt, sondern
aus doktrinellen Gründen über den Haufen geworfen werden.“ )
Als die beiden Bevollmächtigten im April zu Berlin eintrafen, fanden
sie das Auswärtige Amt schon wieder in anderen Händen. Minister
Bülow war an einem Gehirnleiden unheilbar erkrankt, und General Ca-
nitz, der bereits seit Monaten in Berlin weilte, um bei den reichsständischen
Plänen des Königs Rat zu erteilen, hatte ganz unvermutet die erledigte
Stelle erhalten. Welche boshafte Tücke des Schicksals! Vor kurzem erst
hatte Canitz als Gesandter in Wien eine neue Teilung Polens für un-
zulässig erklärt, und nun mußte er selbst dabei mitwirken. Die Lehren
Metternichs von der revolutionären Wirksamkeit des „Nationalismus“ er-
kannte er ebenso wenig an wie sein König; doch mußte er zugeben, daß
die Radikalen das Polentum mißbraucht und gefälscht hatten, *) und da
die Wiederherstellung eines Kleinstaates, der seit einem Menschenalter die
Pflichten seiner Neutralität schmählich verletzt hatte, offenbar unmöglich
war, so genehmigte Preußen in einem geheimen Protokoll vom 15. April
die Vorschläge der beiden Kaiserhöfe. Die Republik Krakau sollte dem
österreichischen Staate einverleibt werden, weil sie sich selbst vernichtet habe.
Diesen Rechtsgrund hatte Canitz angegeben, denn er wollte jede Er-
wähnung des geheimen Vertrags von 1835 vermeiden. In welchem Lichte,
so sagte er späterhin, ständen wir vor der Welt da, wenn man erführe, daß
wir die Vernichtung Krakaus schon vor elf Jahren beschlossen und diesen
*) Zar Nikolaus an König Friedrich Wilhelm, 5. März 1846.
**) Schreiben an König Friedrich Wilhelm von Kaiser Ferdinand 29. März, von
Metternich 29. März 1846.
***) Canitz, Observations confidentielles, April 1846.