Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

546 V. 7. Polen und Schleswigholstein. 
russischen Gesandten Medem mit und fügte hochmütig hinzu: wenn Preußen 
widerspricht, so gehen wir darüber hinweg (nous nous passerons de la 
Prusse). So rücksichtslos wollte der Zar doch nicht verfahren. Er schrieb 
seinem Schwager: nach allem, was geschehen, müsse man sich freundschaft— 
lich über die unumgängliche Vernichtung Krakaus verständigen, „um ein— 
mal für allemal die verbrecherischen Anschläge zu vernichten;“ darum solle 
sein General Graf Berg, ein ehrenhafter, in Preußen wohlbekannter Deut— 
scher demnächst nach Berlin kommen.) Auf Nikolaus' Wunsch kündigte 
auch Kaiser Ferdinand an, daß er seinen erprobten Unterhändler, den 
General Ficquelmont in die preußische Hauptstadt absenden wolle, und zu- 
gleich suchte Metternich das weiche Gemüt seines königlichen Freundes 
durch einen lehrhaften Brief zu bearbeiten: „Zu meiner moralischen 
Gestaltung gehört nebst manch anderen Hin= und Abneigungen die Hin- 
neigung zu den Sachen und die Scheue vor schalen oder gediegen schei- 
nenden, aber in der Tat leeren Worten. Zu den letzteren gehört heute 
der Nationalismus und dessen direkte Anwendung auf den Polonismus. 
Mit den beiden Worten kann der gesamte Stand aller Weltreiche bis 
zu den kleinsten politischen Körpern nicht nur in Frage gestellt, sondern 
aus doktrinellen Gründen über den Haufen geworfen werden.“ ) 
Als die beiden Bevollmächtigten im April zu Berlin eintrafen, fanden 
sie das Auswärtige Amt schon wieder in anderen Händen. Minister 
Bülow war an einem Gehirnleiden unheilbar erkrankt, und General Ca- 
nitz, der bereits seit Monaten in Berlin weilte, um bei den reichsständischen 
Plänen des Königs Rat zu erteilen, hatte ganz unvermutet die erledigte 
Stelle erhalten. Welche boshafte Tücke des Schicksals! Vor kurzem erst 
hatte Canitz als Gesandter in Wien eine neue Teilung Polens für un- 
zulässig erklärt, und nun mußte er selbst dabei mitwirken. Die Lehren 
Metternichs von der revolutionären Wirksamkeit des „Nationalismus“ er- 
kannte er ebenso wenig an wie sein König; doch mußte er zugeben, daß 
die Radikalen das Polentum mißbraucht und gefälscht hatten, *) und da 
die Wiederherstellung eines Kleinstaates, der seit einem Menschenalter die 
Pflichten seiner Neutralität schmählich verletzt hatte, offenbar unmöglich 
war, so genehmigte Preußen in einem geheimen Protokoll vom 15. April 
die Vorschläge der beiden Kaiserhöfe. Die Republik Krakau sollte dem 
österreichischen Staate einverleibt werden, weil sie sich selbst vernichtet habe. 
Diesen Rechtsgrund hatte Canitz angegeben, denn er wollte jede Er- 
wähnung des geheimen Vertrags von 1835 vermeiden. In welchem Lichte, 
so sagte er späterhin, ständen wir vor der Welt da, wenn man erführe, daß 
wir die Vernichtung Krakaus schon vor elf Jahren beschlossen und diesen 
*) Zar Nikolaus an König Friedrich Wilhelm, 5. März 1846. 
**) Schreiben an König Friedrich Wilhelm von Kaiser Ferdinand 29. März, von 
Metternich 29. März 1846. 
***) Canitz, Observations confidentielles, April 1846. 
 
	        
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