Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Einzug in Berlin. 49 
willfahrte dem Wunsche durch eines jener geistreichen, mehr blendenden 
als überzeugenden Schlagworte, mit denen er zu spielen liebte. Er 
meinte, sein Vater, der so viel für das Land getan, hätte bescheiden sein 
dürfen, er selber habe sich dies Recht noch nicht erworben. Der Einzug 
erfolgte am 21. Sept., vom Frankfurter Tore her, unter Glockengeläute 
und Kanonendonner, als ob der König aus einem siegreichen Kriege zu— 
rückkäme. Schwungvolle Reden und Gedichte beteuerten die unbegrenzte 
Ergebenheit „der getreuesten Stadt des Landes“. Ehrenpforten, Fahnen, 
Kränze allüberall, und in den Volksmassen ein rasender Jubel, wie ihn 
Berlin selbst bei der Rückkehr der Befreiungskämpfer nicht gehört hatte. 
Als der König, ganz erschöpft von dem Übermaße der Freuden, endlich 
die Schloßtreppe hinaufstieg, sagte er ahnungsvoll zum Oberbürgermeister 
Krausnick: „Das ist ja ein Taumel, eine wahre Trunkenheit. Wenn nur 
der Katzenjammer nicht nachkommt!“ 
Schon lange vor dem 15. Oktober, dem Tage der großen Huldigung 
trafen die Abgeordneten, alle froh erregt, in der Hauptstadt ein. In 
diesem heiteren geselligen Verkehr lernten sich die Vertreter der verschiedenen 
Provinzen zum ersten Male persönlich kennen und sie entdeckten mit freu- 
digem Erstaunen, daß sie trotz so mancher Unterschiede doch allesamt 
gute Preußen waren. Aber während die landschaftlichen Vorurteile sich 
abschliffen, bestanden die alten sozialen Gegensätze noch in ungeminderter 
Schärfe fort. Das zeigte sich bei einer geringfügigen Etikettenfrage. Die 
brandenburgische Ritterschaft besaß von alters her das Vorrecht, den Treu- 
cid persönlich in die Hand des Landesherrn abzuleisten, ein Recht, das 
sie noch bei der letzten Huldigung ausgeübt hatte. Da der König seine 
treuen Märker unmöglich eines alten Ehrenrechtes berauben konnte, so 
beschloß er, die sämtlichen Vertreter des Herrenstandes und der Ritter- 
schaft aus den sechs Provinzen in seinen Gemächern zu empfangen; die 
Abgeordneten der Städte und des Bauernstandes sollten nachher unter 
freiem Himmel, im Lustgarten huldigen, weil die Räume des Schlosses 
dafür nicht ausreichten. Die Anordnung war ganz harmlos gemeint; 
doch sie erregte unter den Vertretern der Städte eine lebhafte Entrüstung, 
die von der liberalen Presse außerhalb Preußens geflissentlich geschürt 
wurde. Durch eine solche Bevorzugung des Adels fühlte sich der Bürger- 
stolz beleidigt. Oberbürgermeister Francke von Magdeburg versuchte mit 
Hilfe des Grafen Stolberg zu vermitteln, und der König stellte den 
Städten frei, eine Deputation in das Schloß zu senden. Die märkischen 
Ritter andererseits erklärten, nach ihrem guten Rechte, sie würden wohl auf 
Befehl des Monarchen, doch nimmermehr freiwillig ein Privilegium 
ihres Landes aufgeben. Die Städter versammelten sich nunmehr zu 
einer Beratung im Grauen Kloster, und Rochow, der hier sehr mild 
und versöhnlich auftrat, bewog sie schließlich, sich bei der ursprünglichen 
Anordnung zu beruhigen. Aber während der Verhandlung fielen starke, 
v. Treitschke, Deutsche. Geschichte. V. 4
	        
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