Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

50 V. 1. Die frohen Tage der Erwartung. 
fast drohende Worte, und man machte die überraschende, auch für die 
Zukunft bedeutsame Erfahrung, daß die Abgeordneten aus dem Westen, 
die man allgemein wegen ihres Radikalismus fürchtete, den ganzen Streit 
sehr leicht nahmen, während die Vertreter von Frankfurt, Breslau, Prenz- 
lau und anderen Städten der alten Provinzen ihren lang verhaltenen 
Adelshaß heftig aussprachen.?) 
Das alles verhallte bald in dem unermeßlichen Jubel des Huldigungs- 
festes. Der König nahm zunächst im Schlosse den Eid der Fürsten, der 
Geistlichkeit, der Ritterschaft entgegen und beteuerte ihnen, daß sie nicht 
eine sogenannte glorreiche Regierung zu erwarten hätten, die mit Ge- 
schützesdonner und Posaunenton die Nachwelt ruhmvoll erfülle, sondern 
eine einfache, väterliche, echt deutsche und christliche Regierung. Alsdann 
begab er sich auf den in Gold und Purpur prangenden Anbau des 
Schlosses, wo der Thron stand: gegenüber die flaggengeschmückten Tribünen 
für die Vertreter der Städte und des Bauernstandes; dazwischen tief unten 
die Innungen der getreuen Hauptstadt mit ihren Fahnen; ringsum an den 
Fenstern und auf den Dächern des mächtigen Platzes eine ungeheuere 
Menschenmasse, alles in musterhafter Ordnung. Noch bevor der Hul- 
digungseid den beiden untersten Ständen abgefordert wurde, stand der 
König vom Throne auf, um abermals, noch ausführlicher und eindring- 
licher als in Königsberg, zu seinem Volke zu reden. Er gelobte im Sinne 
des Vaters, als ein gerechter und friedfertiger König zu regieren, und 
fragte sodann alle die Anwesenden: „Wollen Sie mir helfen und bei- 
stehen, die Eigenschaften immer herrlicher zu entfalten, durch welche Preußen 
mit seinen vierzehn Millionen den Großmächten der Erde zugesellt ist? — 
nämlich: Ehre, Treue, Streben nach Licht, Recht und Wahrheit, Vorwärts- 
schreiten in Altersweisheit zugleich und heldenmütiger Jugendkraft? Wollen 
Sie in diesem Streben mich nicht verlassen noch versäumen, sondern 
treu mit mir ausharren durch gute und durch böse Tage — o, dann 
antworten Sie mir mit dem klaren, schönsten Laute der Muttersprache, 
antworten Sie mir ein ehrenfestes Jal“ Unbeschreiblich war der Ein- 
druck dieser Worte, in denen sich Friedrich Wilhelms Künstlerseele wie 
mit elementarischer Gewalt entlud. Der schönste Laut der Muttersprache 
ertönte aus Tausenden ehrlich begeisterter Herzen; selbst ein heftiger 
Regenschauer, der plötzlich herniederprasselte, störte die allgemeine Ver- 
zückung nicht. Und nun rief der König: „Dies Ja war für mich, das 
ist mein eigen, das lass' ich nicht, das verbindet uns unauflöslich in 
gegenseitiger Liebe und Treue, das gibt Mut, Kraft, Getrostheit, das 
werde ich in meiner Sterbestunde nicht vergessen!“ Darauf erst ward der 
gesetzliche Huldigungseid geleistet, und die stürmische Begeisterung dieses 
  
*) Nach den Aufzeichnungen Kühnes, der hier die sehr ausführlichen Mitteilungen 
seines vertrauten Freundes Francke wiedergibt.
	        
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