Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Erfahrene Männer. Gerlach von Kopenhagen. 589 
der „aus einer unrichtigen, wenigstens unklaren Auffassung des Begriffes 
der Nationalität entspringe“. Er wünschte nach wie vor die Integrität 
der dänischen Monarchie, womöglich unter dem augustenburgischen Herr— 
scherhause. Aber an den althistorischen Rechten der Herzogtümer hielt 
er fest: „wir müssen vorangehen; es ist eine von den seltenen Sachen, 
wo wir auf die Zustimmung der deutschen Bundesregierungen rechnen 
können.“7) 
Durch Unwetter aufgehalten, konnte Gerlach erst am 15. Febr. in der 
dänischen Hauptstadt eintreffen. Unterwegs hatte er Falck, Reventlow so- 
wie andere deutsche Patrioten gesprochen und fühlte sich angenehm über- 
rascht, in diesen Schleswigholsteinern, die doch mit allen deutschen „Wüh- 
lern“ verbündet waren, so konservative Männer kennen zu lernen. Diese 
unschuldigen Gespräche, bei denen er streng die Rolle des vorsichtigen Be- 
obachters einhielt, wurden ihm freilich von den Dänen als verräterische 
Umtriebe angerechnet. In Kopenhagen bemerkte er sogleich, wie alles aus 
Rand und Band ging. Er durchschaute die vollendete Nichtigkeit Fried- 
richs VII. und die Zwietracht seiner Räte, die Schwäche des einzigen 
deutschgesinnten Ministers Heinrich Reventlow; er begriff, daß die Verfas- 
sung unmöglich gelingen konnte, solange die Erbfolgefrage in der Schwebe 
blieb; er erkannte sogar, daß weder die Dänen noch die Deutschen mehr 
an die Integrität des alten Gesamtstaats glaubten. Aber wie scharfsinnig 
er auch im einzelnen urteilte, eine kühne nationale Politik hielt er für 
eine Träumerei der „Germanomanen“; an die Möglichkeit einer Macht- 
erweiterung Preußens dachte er niemals. Sein letzter Rat ging dahin: 
Preußen sollte sich zunächst mit Rußland und Österreich verständigen, da- 
mit nachher die dänische Thronfolge, wie einst die badische, durch eine euro- 
päische Entscheidung friedlich geregelt würde. Als Graf Reventlow-Preetz 
ihn bestimmt fragte: wird der Deutsche Bund uns Holsten schützen, falls 
Dänemark uns eine Verfassung aufzuzwingen oder Schleswig von uns los- 
zureißen wagt? — da antwortete der General ausweichend, Schleswig ge- 
höre ja nicht zum Bunde, und rechtfertigte sich vor seinem Monarchen also: 
„Ich glaube nicht, da der Fall mir wenigstens nicht klar ist, durch die 
Autorität des Abgesandten Ew. Maj. die Opposition der Herzogtümer 
verstärken zu dürfen.“) Wahrlich, Preußen durfte wie der Sohn des 
Laios sagen: so, gar nichts ahnend kam ich nun, wohin ich kam! Während- 
dem tobte die gesamte Presse Westeuropas wider la politique envahissante 
de IAllemagne; und über König Friedrich Wilhelm, den man aus seinen 
Reden doch endlich kennen mußte, urteilte Lamartine: das sei ein fürchter- 
licher Kraftmensch, „fähig, alles zu verstehen, alles zu versuchen, alles 
zu wagen!“ 
*) Canitz, Weisung an Gerlach, 4. Febr. 1848. 
**) Gerlachs Berichte an den König, 16. 19. 28. Febr., 1. März, an Canitz, 24. Febr. 
1848. 
 
	        
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