614 V. 8. Der Vereinigte Landtag.
der Mißverständnisse blieb ihrem Charakter treu: der König wähnte mit
dem Patente für lange Zeit sein letztes Wort gesprochen zu haben, die
öffentliche Meinung sah darin nur den ersten Anfang eines freieren
politischen Lebens, und schon jetzt zeigte sich, daß der Gegensatz sich zu—
spitzen mußte zu der einen Frage der periodischen Landtagsberufung. War
der Vereinigte Landtag erst seiner regelmäßigen Wiederkehr sicher, dann
konnte er sich mit Fug und Recht für die gesetzliche Landesvertretung an—
sehen; die Vereinigten Ausschüsse verloren dann jede Bedeutung, und auch
der Nebenstreit um die Kriegsanleihen und die Schuldendeputation ließ sich
leichter erledigen. In der Forderung periodischer Reichsstände fanden sich
drei ganz verschiedene Parteien zusammen: zunächst alle die besonnenen
Männer, die der Unsicherheit des öffentlichen Rechts ein Ende machen
wollten; sodann die entschiedenen Liberalen, die von einem vielköpfigen
Parlamente für ihre Parteizwecke mehr erwarteten als von einem kleinen
Ausschuß; dazu endlich die hohe Aristokratie, denn durch den Herrenstand
des Vereinigten Landtags hoffte sie politische Macht zu gewinnen, während
sie in den Vereinigten Ausschüssen nur durch wenige Stimmen vertreten
war. Dies erkannte Kühne, er befürchtete eine Coalition monstreuse
zwischen den extremen Liberalen und Aristokraten. Mündlich und brief—
lich stellte er seinem alten Freunde Bodelschwingh vor: diese große Ver—
sammlung würde nur dann in Frieden zu Ende gehen, wenn der König
rechtzeitig, bevor man ihn zwänge, in der einen entscheidenden Frage
nachgäbe und dem Vereinigten Landtage, ebenso wie schon den Vereinigten
Ausschüssen, die periodische Einberufung zusagte.)
Welch eine Last lag jetzt auf Bodelschwingh. Einst im Befreiungs-
kriege hatte eine französische Kugel dem tapferen Kriegsmanne die Lunge
durchbohrt, und gerade jetzt packte ihn wieder eine jener schweren Lungen-
entzündungen, die ihn seitdem schon mehrmals heimgesucht hatten. Er
rang mit dem Tode; den ganzen März hindurch blieb er unfähig zur
Arbeit. Kaum halb genesen, raffte er sich dann auf, um heldenhaft, fast
allein, selber ein parlamentarischer Neuling, dieser stürmischen Versamm-
lung die Stirne zu bieten. Als Minister des Innern und Kabinetts-
minister zugleich, mußte er die Sache der Krone zunächst vertreten, und
es ergab sich auch bald, daß er allein unter allen Ministern ein ungewöhn-
liches Rednertalent besaß. Er war ein Neffe jenes stolzen Freiherrn
Bodelschwingh-Plettenberg, der einst so hartnäckig die ständischen Rechte
der Grafschaft Mark verteidigt hatte, ein Liebling Steins und des alten
Vincke, Westfale durch und durch, und hatte sich doch in den mannig-
fachen Stellungen einer beispiellos raschen Beamtenlaufbahn überall Liebe,
selbst in der bösen Zeit des Kölnischen Bischofsstreites die Achtung der
Rheinländer gewonnen. Die älteren westfälischen Landsleute erinnerte
*) Kühne an Bodelschwingh, 3. April 1847. S. Beilage 35.