Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

622 V. 8. Der Vereinigte Landtag. 
sönlich und konnte sich nicht darein finden, den Sohn des getreuesten 
aller Westfalen in den Vorderreihen der Opposition zu sehen. Auch der 
Vater hatte in seinen letzten Lebensjahren die liberale Gesinnung des 
jungen Landrats und Landstands nicht ohne Sorgen betrachtet. Im 
Grunde des Herzens hegte der Sohn jedoch weit mehr aristokratischen 
Stolz als der schlichte volksfreundliche alte Oberpräsident. Er freute sich 
seines alten Geschlechtes und wollte gleich der langen Reihe seiner Ahnen 
allezeit „den Acker des Rechtes pflügen“. Freilich hatte er sich von seinem 
unantastbaren Rechtsboden ein ziemlich willkürliches Bild entworfen. Er 
betrachtete die ständischen Rechte als ein von den Vätern überkommenes 
Fideikommiß, als „ein eisernes Inventar, das wohl vermehrt, doch nicht 
vermindert“ werden dürfe. Darum nahm er das neu geschenkte Steuer— 
bewilligungsrecht kurzweg an und verlangte trotzdem die Erfüllung aller 
früheren Zusagen bis auf den letzten Buchstaben. Einen Dank wollte 
er in der Adresse überhaupt nicht aussprechen, sondern nur eine Rechts— 
verwahrung, da beides einander ausschlösse. Noch mehrere andere un— 
gewöhnlich begabte Redner erhoben ihre Stimme. So Mevissen, der Mit— 
begründer der Rheinischen Zeitung, der unterdessen viel gelernt hatte und 
ganz in Beckeraths Sinne ausführte: wenn nur erst der Vereinigte Land— 
tag alljährlich den gesamten Staatshaushalt prüfe, dann würden die 
Preußen nicht mehr mit Neid auf ihre kleinen Nachbarn schauen, sondern 
die Führung Deutschlands erlangen. So auf der anderen Seite Fürst Felix 
Lichnowsky, der kecke übermütige karlistische Abenteurer, der zum allge- 
meinen Erstaunen zwar für die Krone, aber durchaus nicht in reaktionärem 
Geiste sprach und wenn er auch hinter seinem Vorbilde Mirabeau weit 
zurückblieb, doch unverkennbar Talent, Mut, Tatkraft zeigte. 
Großen Eindruck machte eine kurze Ansprache des Prinzen von 
Preußen. Herausgefordert durch einen Vorwurf Hansemanns gab er als 
erster Untertan und erster Ratgeber des Königs die feierliche Versicherung: 
bei der Beratung der Verordnungen vom 3. Febr. hätten er und die 
anderen Räte der Krone durchaus kein Mißtrauen gehegt, wohl aber die 
Erwartung, daß „Freiheiten und Rechte der Stände niemals auf Unkosten 
der Rechte und Freiheiten der Krone“ gewährt werden sollten. Der Sinn 
seiner Rede war versöhnlich, aber ihr Ton klang diktatorisch; der Prinz 
sprach wie ein des Befehlens gewohnter General, und da der unwissende 
Haufe nicht einsah, daß der Thronfolger doch gar nicht anders auftreten 
durfte, so bemächtigte sich der niederträchtige Berliner Klatsch dieser ein- 
fachen Worte. Der Prinz war der Liebling des Heeres und darum schon 
allen Unzufriedenen verdächtig. Die längst verbreiteten Gerüchte von seiner 
reaktionären Gesinnung wurden durch Varnhagen in den Salons, durch 
allerhand Unbekannte beim Pöbel umhergetragen; er galt überall für den 
bösen Dämon seines Bruders, obgleich er zur Zeit gar keinen Einfluß 
besaß, sondern nur als ehrenhafter Soldat die Sache seines königlichen
	        
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