Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

638 V. 8. Der Vereinigte Landtag. 
seiner ersten Rede eine stark einschränkende Auslegung zu geben. Aber 
die Schleußen waren geöffnet. Heftige Ausfälle gegen den Deutschen Bund, 
leidenschaftliche Klagen über die Zerrissenheit des Vaterlandes ließen sich 
nicht mehr verbieten. Eine Petition um Wahrung des deutschen Rechts 
in Schleswigholstein wurde sogar förmlich an eine Kommission verwiesen. 
Deren Bericht kam erst spät zu stande, erst in dem Augenblicke, da der Land— 
tag geschlossen werden sollte. Da erhob sich plötzlich Graf Schwerin und 
verlas eigenmächtig vor dem gesamten Landtage den Kommissionsbericht, 
der sich sehr warm für die Rechte Nordalbingiens aussprach. Die Ver— 
sammlung stimmte mit brausendem Zurufe bei, und obwohl der Landtags- 
marschall das ungesetzliche Verfahren nachträglich rügte, so vermochte er 
doch an der geschehenen Kundgebung nichts mehr zu ändern. 
Niemand konnte es hindern, alle die lange verhaltenen Wünsche der 
ungeduldigen Zeit wurden im Landtage laut. Die Stände verlangten 
Offentlichkeit der Beratungen der Stadtverordneten, und die Krone 
konnte nicht umhin, durch eine Kabinettsordre vom 23. Juli 1847 der 
Forderung zu entsprechen. Sie beschlossen einstimmig, auf Auerswalds 
Antrag, eine Bitte um Preßfreiheit; eine Debatte hielten sie für über— 
flüssig, denn über die Unmöglichkeit der Zensur waren schon alle Par- 
teien einig. Thadden-Trieglaff veröffentlichte bei dieser Gelegenheit eine 
ungehaltene Rede, die in dem Satze gipfelte: „die Preßfreiheit, aber 
der Galgen daneben!“ Die Rede enthielt in paradoxer Form manche 
gesunde Gedanken und fand den Beifall des Prinzen von Preußen. 
Der freimütige Sonderling sah die Zeit kommen, da die Menschen 
nicht mehr an Gott, wohl aber an ihre Zeitung glauben würden; 
er erkannte die allen demokratischen Epochen gemeinsame Gefahr der 
moralischen Feigheit, die sich in der Scheu vor jeder persönlichen Ver- 
antwortlichkeit, in dem Verlangen nach geheimen Wahlen und Anonymi- 
tät der Presse bekundet. Darum forderte er Aufhebung der Zensur, 
strenge Bestrafung der Preßvergehen, Unterzeichnung aller Artikel. Aber 
die Anonymität der Zeitungen war längst mit allen modernen Lebens- 
gewohnheiten verwachsen; die Rede wurde nur verhöhnt und erlangte 
schon wegen ihres herausfordernden Hauptsatzes ganz unverdientermaßen 
einen sprichwörtlichen Ruf als Probstück reaktionärer Narrheit. Auf 
diese Forderung der Preßfreiheit wußten die Vertreter der Krone nichts 
zu antworten, als daß der Bundestag zunächst sein Preßgesetz ändern 
würde. 
Sichtlich in Verlegenheit gerieten sie auch, als Hansemann mit komi- 
schem Pathos von der Rednerbühne herab dem Landtage erst das dünne 
Heft der preußischen Staatshaushalts-Übersicht, dann die dicken Bände 
des belgischen, des französischen, des dänischen Budgets vorzeigte. Wohl 
erwiderte Bodelschwingh der Wahrheit gemäß: wir haben nichts zu ver- 
bergen; die geheimen Fonds beziffern sich bei uns nicht, wie im konstitu-
	        
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