Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Französische und englische Heiratskandidaten. 705 
irgendwie zerschlagen, und arbeitete insgeheim für seinen Vetter. Im 
Frühjahr 1846 erschien der koburgische Freier Leopold — ganz zufällig 
— am Londoner Hofe und besuchte sodann — wieder ganz zufällig — 
mit seinem Vater die koburgischen Verwandten in Lissabon; zur selben 
Zeit unternahm Herzog Ernst von Koburg — wieder zufällig — eine Reise 
nach Spanien. Dem Bürgerkönige war es doch nicht zu verargen, daß 
er, ohnehin keine gläubige Seele, an so viele koburgische Zufälle nicht recht 
glauben wollte und sich nun auch seinerseits aller Zusagen entbunden hielt. 
Die gehoffte bourbonische Heirat ward aber durch die spanischen 
Parteihändel sehr erschwert. Seit dem Sturze der Karlisten war das 
Land in die beiden Heerlager der Progressisten und der Moderados zer— 
teilt. Espartero, der Führer der Progressisten, bekannte seine englische 
Gesinnung unverhohlen; er hatte die Garden aufgelöst — was der Ober— 
präsident Schön seinem Freunde Boyen als leuchtendes Vorbild liberaler 
Gesinnungstüchtigkeit anpries — er hatte die Königin Mutter Marie 
Christine persönlich gedemütigt, sie der Regentschaft beraubt und eine 
Zeitlang nach Frankreich vertrieben. Als Marie Christine dann aus 
dem Exile heimkehrte, blieb sie den Progressisten feind und hielt sich 
wenn auch nicht unbedingt, zu der französisch gesinnten Partei, dem Ge— 
neral Narvaez und seinen Moderados. Unter den drei bourbonischen 
Prinzen aber, welche allein auf die Hand Isabellas hoffen konnten, 
wurde der eine, ein neapolitanischer Bruder der Königin Mutter, bald 
als unmöglich aufgegeben. So blieben nur noch zwei spanische Infanten: 
der ältere, der beschränkt bigotte Herzog Franz von Cadix war ein fa— 
natischer Moderado, der jüngere Bruder, Herzog Heinrich von Sevilla, 
hatte sich sehr tief in progressistische Umtriebe eingelassen und sich durch 
seine radikale Frechheit mit beiden Königinnen gänzlich überworfen. Be— 
greiflich also, daß der Bürgerkönig den französisch gesinnten Moderado 
Franz begünstigte.*) 
So begann denn am Madrider Hofe ein wilder Parteikampf; die 
beiden Gesandten Bresson und Bulwer, beide gleich hitzig und gleich zank— 
süchtig, befehdeten einander mit allen erdenklichen schlechten Künsten. Und 
nun ward plötzlich noch ein dritter Faden in diesen verfitzten diploma— 
tischen Knäuel eingeflochten — durch Lord Palmerston, der soeben in das 
Kabinett eingetreten war. Wenn der Lord ruhig rechnete, so mußte er 
die koburgische Kandidatur unterstützen, die für England doch vielleicht 
vorteilhaft werden konnte. Körperlich war der frische, kräftige Koburger 
den beiden traurigen spanischen Infanten weit überlegen. Darum entschloß 
sich Marie Christine in einem Anfall mütterlicher Zärtlichkeit, ihre fran— 
zösischen Neigungen zu überwinden; sie schrieb selbst an den Herzog von 
*) Die Erzählung des Herzogs Ernst stimmt hier ganz überein mit einem offen- 
bar zuverlässigen Berichte, welcher dem preußischen Auswärtigen Amte am 25. Nov. 1846 
von einem Madrider Agenten erstattet wurde. 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 45 
 
	        
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