Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

754 XXVII. Denkwürdigkeiten des Prinzen Emil von Hessen. 
— — — Hierbei erneuert sich in mir das Andenken an meinen Aufenthalt zu Aachen, 
der von nicht unbedeutenden Folgen für mich war. Nach dem Fall Napoléons war ich 
in dem delirierenden Deutschland eine von den Personen, welche als bestimmte An- 
hänger des Kaisers und Frankreichs angesehen und angefeindet wurden. Es läßt sich 
dieses zum Teil durch das Wohlwollen Napoléons gegen mich erklären, welcher gern 
sah, daß iunge Leute, namentlich Prinzen, mit Eifer ihre Pflichten als Soldat zu er- 
füllen suchten, teils aber auch durch die vom Enthusiasmus verworrenen Begriffe. Fast 
allgemein nämlich sah man Verrat gegen Napoléon als etwas sehr Verdienstvolles an. 
Da ich nun vom Großherzog, meinem Vater, dem ich, und nicht den Franzosen diente, 
keinen Befehl zum Ubergehen in die feindlichen Reihen hatte, so konnte mir natürlich 
ein solcher Gedanke nur als verächtlich und meiner Ehre vollkommen unwürdig erscheinen. 
Und doch war es wegen dieser Unterlassungssünde, und daß ich vorzog, meine Pflicht 
erfüllend, als Soldat mich fechtend in Leipzig gefangen nehmen zu lassen, daß man mich 
anfeindete. Nun hatte ich mich späterhin gegen den Kaiser Alexander über mein Be- 
nehmen erklärt und war so glücklich, seinen vollkommenen Beifall deshalb zu erlangen. 
Auch der Kaiser von Osterreich und die Osterreicher überhaupt hatten mich mit viel Aus- 
zeichnung behandelt. In den zwei mit den Aliierten gegen Frankreich gemachten Feld- 
zügen hatte ich das Großkreuz des Leopolds-, das kleine M. Theresien= und das Cor 
Kreuz des St. Georgen Ordens erhalten. Demohngeachtet waren noch eine Menge 
bedeutende Personen sehr gegen mich eingenommen. Ich hielt daher die Vereinigung zu 
Nachen für sehr geeignet, zu beweisen, daß ich fest auftreten könnte, ohne irgend jemand 
scheuen zu müssen. Ich entschloß mich rasch, gegen die Mitte des Kongreß nach Aachen 
zu reisen: — — — — — — — 
Den andern Morgen machte ich sogleich die nötigen demarchen, dem Kaiser von 
Osterreich und dem König von Preußen aufzuwarten. Ersterer empfing mich mit be- 
sonderer Gnade, die sich auch während meinem ganzen Aufenthalt erhielt und selbst 
steigerte, so daß ich alle Woche gewiß zweimal zur Tafel geladen wurde und überhaupt 
von dem K. sowohl wie von allen seinen Umgebungen mit einer vorzüglichen Aus- 
zeichnung und der Herzlichkeit behandelt wurde, die den Osterreichern eigen ist. — Der 
König von Preußen, von Natur wenig demonstrativ, konnte noch immer nicht ganz 
von der früher gegen mich gefaßten prevention zurückkommen und blieb ziemlich steif. 
Vielleicht gelang es mir, während meines Aufenthaltes durch meine Unbefangenheit so- 
wohl als durch Erläuterungen, die ich mehrern von seinen Umgebungen über meine 
frühern Verhältnisse gab, diesen Einbildungen zu begegnen. Wenigstens war bei jeder 
spätern Gelegenheit der Empfang herzlicher und wohlwollender. Es ist unglaublich, wie 
Leute von Verstand verbreiteten Gerüchten Glauben beimessen können, welche nur in 
Pamphlets Platz greifen können und den Stempel der Unrichtigkeit mit sich tragen. 
Dahin gehört die Erzählung, Napoléon habe mir in der Schlacht von Lützen zugerufen: 
„En avant, roi de Prusse!“ So ungereimt und lächerlich diese Angabe war, fand sie 
doch Glauben und wurzelte, wie es scheint, im Gemüt des Königs, welches sich mir, und 
vorzüglich nach meiner Gefangennehmung zu Leipzig, stets abgeneigt bewies. — Kaum 
war ich 8 Tage in Aachen, als in der Antwerpner Zeitung dieses Märchen neu aufge- 
tischt wurde. Ich nahm indes von diesem unangenehmen, vielleicht durch Bosheit herbei- 
geführten Ereignis Gelegenheit, F. Metternich, Fürst Hardenberg und vielen andern 
ganz natürlich über die Wahrheit meiner Verhältnisse zu den Franzosen zu sprechen über 
mein eingehaltenes Benehmen und hatte den großen Triumph, nicht nur die Zustimmung 
aller dieser Männer zu erlangen, sondern von dieser Zeit eine Art von Geneigtheit zu 
beobachten und, was mehr war, eine Achtung, die zu erlangen mein Bestreben von An- 
fang an sein mußte. 
 
	        
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