Preußens Vorbehalt. 79
Wendung wurden ihm alle die teuren Erinnerungen des Befreiungs-
krieges wieder lebendig. „Wir dürfen“, so ließ er nach Wien schreiben,
„den ersten Vertrag nicht abschwächen, durch welchen das britische Kabinett
sich offen von Frankreich getrennt und seinen Platz unter den konservativen
Mächten wieder eingenommen hat.““*) Andererseits sah er wohl ein, daß
Preußen die schwerste Last würde tragen müssen, falls ein allgemeiner
Krieg ausbräche. Um dies Unheil von seinem Lande abzuwenden, ließ er
allen Mächten bestimmt erklären, er halte fest an der friedlichen Politik
seines Vaters. Die Klausel, welche Bülow dem Vertrag eingefügt, ge-
nügte ihm nicht; er verlangte vielmehr, daß seinem Staate die Neutralität
feierlich verbürgt werden müsse)
Mit erklärlicher Verwunderung nahmen die drei befreundeten Mächte
diese Mitteilungen entgegen. Palmerston meinte kurzweg, alle vier Mächte
seien vertragsmäßig verpflichtet, nach dem Maße ihrer Machtmittel zu-
sammenzuwirken, und ließ in Berlin anfragen, was demnach Preußen für
die gemeinsame Sache zu tun gedenke."*“) Nesselrode sagte dem preußi-
schen Gesandten Liebermann, der ihm im stillen nicht unrecht geben
konnte, hoch entrüstet: das sei doch unerhört, daß Frankreichs zunächst
bedrohter Nachbarstaat, nachdem er sich dem Vierbunde angeschlossen, noch
neutral bleiben wolle; und der Zar warnte freundschaftlich, solche Vor-
behalte erregten in England Geringschätzung.#p) Selbst Metternich konnte
nicht umhin, im August bei der Pillnitzer Zusammenkunft dem Könige
vorzustellen: eine förmliche Erklärung der Neutralität erwecke das Miß-
trauen Englands, „das wir soeben zu unserem Banner bekehrt haben“;
Thiers aber würde darin ein Zeichen der Schwäche des Vierbundes
sehen.) So geschah es auch; denn kaum hatte der französische Minister
etwas erfahren, so sagte er erleichtert: also nicht ein Vierbund, nur ein
Dreibund steht uns gegenüber ! #) Mehrere Wochen hindurch währten
diese geheimen Verhandlungen; sie erweckten bei allen Höfen den Eindruck,
daß Preußens Diplomatie unter dem bescheidenen alten Regiment doch
weit verständiger und fester geleitet worden war als unter dem prunkhaften
neuen. Endlich ward ein Vermittlungsantrag Metternichs angenommen
und am 14. August von den vier Mächten ein geheimes Protokoll
unterzeichnet, kraft dessen Preußen sich für den Fall eines Krieges „voll-
kommene Freiheit des Handelns und namentlich das Recht der strengsten
Neutralität vorbehielt. J) Nun erst ratifizierte Preußen den Vertrag.
*) Werther, Weisung an Maltzan, 24. Juli 1840.
**) Werthers Bericht an den König, 22. Juli; Weisung an Bülow, 4. Aug. 1840.
*FF) Werthers Bericht an den König, 28. Juli 1840.
#) Liebermanns Berichte, 26. 29. Sept. 1840.
f) König Friedrich Wilhelm an Werther, Pillnitz 12. Aug. 1840.
fü 0) Maltzans Bericht, 26. Aug. 1840. ·
«f)GeheimesProtokolldervierMächte,London14.Aug.;nebstBriefenvonPal-
merston, Neumann, Brunnow an Bülow, 14. Aug. 1840.