Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

82 V. 2. Die Kriegsgefahr. 
der Krieg der Propaganda von neuem beginnen. Schon am 5. August 
sah sich Thiers genötigt, durch königliche Ordonnanz einen außerordent- 
lichen Kredit von 56 Mill. Fr. zu verlangen; bald darauf folgten neue 
Anleihen und Truppenaushebungen, alles trieb dem Kampfe zu. 
Mit steigender Angst betrachtete Ludwig Philipp dies kriegerische 
Treiben seines verhaßten Ministers. Auch er hatte Augenblicke, da er 
die beschämende Stellung seines Landes bitter empfand und zornig sagte, 
er würde wohl die rote Mütze aufsetzen müssen. Indes solche Wallungen 
gingen rasch vorüber. Der kluge Kaufmann wußte wohl, daß seine ille- 
gitime Dynastie einen siegreichen Feldherrn ebenso wenig ertragen konnte 
wie eine Niederlage. Der Ruf nach der Rheingrenze ließ ihn kalt, und wie 
ein Axiom wiederholte er den Satz: wer den allgemeinen Krieg anfängt, 
unterliegt unfehlbar. Er wünschte den Frieden um jeden Preis und sagte 
schon in den ersten Tagen zu dem österreichischen Botschafter: lieber wolle 
er sein Ministerium zerschmettern, als seine friedlichen Bahnen verlassen. 
Ihm graute vor dem Radikalismus, der unausbleiblich durch den Krieg 
emporkommen müsse; er wollte gar nicht begreifen, wie man seine harm- 
losen Absichten so sehr verkennen, wie man ihn der Gefahr aussetzen könne 
von der Revolution überflutet zu werden, und beschwor den jüngeren 
Werther, als den Vertreter der friedfertigsten Großmacht, für eine Ver- 
ständigung zu wirken: Europa sitzt auf einem Pulverfasse, solange Frank- 
reich vereinsamt dasteht!) Eben in diesen schwülen Wochen landete 
Prinz Ludwig Napoleon mit einer Handvoll Getreuer bei Boulogne und 
wagte einen zweiten Aufstandsversuch. Das Unternehmen scheiterte sofort, 
der kühne Abenteurer schien dem Fluche der Lächerlichkeit zu verfallen. 
Dem Könige aber war übel zu Mute; er ahnte, wie leicht sein geraubter 
Thron einem andern Räuber anheimfallen konnte. 
Die beiden deutschen Großmächte versäumten nicht, den Bürgerkönig 
in seinen löblichen Ansichten zu bestärken. Friedrich Wilhelm ließ — 
nicht ohne die halb unbewußte Selbsttäuschung rhetorischer Überschweng- 
lichkeit — inbrünstig versichern, seine persönlichen Gefühle für Ludwig 
Philipp seien ebenso unwandelbar wie seine Freundschaft für Frankreich. 
Metternich aber hielt für geraten, dem ängstlichen Orleans das Schreckge- 
spenst der Revolution vorzuhalten: wolle Thiers den Krieg, so müsse er 
die Politik des Konvents treiben, seinen eigenen König entthronen und 
Mehemed Ali auf den Herrschersitz der Sultane erheben.) 
Mit diesen Friedensmahnungen der deutschen Mächte stimmte die 
Haltung Rußlands und Englands wenig überein. Zar Nikolaus be- 
hauptete in Stambul, wie einst seine Großmutter in Warschau, eine 
  
*) Werther d. J., Berichte aus Paris, 26. Juli, 26. Aug. 1840. 
*“) Minister Werther, vertrauliche Weisung an Werther d. J., 8. Aug. Metternich, 
vertrauliche Weisung an Apponyi, 4. Aug. 1840.
	        
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