Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Niedergang des fremdbrüderlichen Liberalismus. 89 
der Männer, welche bisher die Regierungen bekämpft hätten.“) Der 
Russe sah schärfer als der Österreicher. Es war in der Tat der Geist 
von 1813, der aus allen diesen Gedichten, Reden und Zeitungsartikeln 
sprach; es war der Stolz einer endlich erwachenden starken Nation, der 
zum vollen Selbstbewußtsein gereift der Fremdherrschaft Osterreichs ebenso 
verderblich werden mußte wie die hohlen Formen der Bundesverfassung. 
Die Kugel stand auf scharfer Kante; ein leichter Stoß genügte, sie ins 
Rollen zu bringen. Der Krieg war erklärt, sobald Preußen eine ernste 
Anfrage wegen der französischen Rüstungen nach Paris ergehen ließ und 
sie veröffentlichte. 
Ein König von friderizianischer Kühnheit hätte dieser Versuchung 
schwerlich widerstanden. Alle die tapferen Männer des preußischen Heeres, 
welche seit Jahren schon den dritten punischen Krieg für unvermeidlich 
hielten, vereinigten sich in der Meinung, jetzt sei die rechte Zeit zum 
Schlagen. Der Prinz von Preußen lebte und webte in dem Gedanken 
des rheinischen Feldzugs. In ernster Rede mahnte er die Offiziere der 
Garde, den vaterländischen Sinn wach zu halten in dem Heere, „der 
Schöpfung des seligen Königs“, die sich mehr denn je das Vertrauen 
des befreundeten Auslandes erworben habe.) Er schrieb sich das Rhein- 
lied eigenhändig ab, und unter die Schlußworte: 
Sie sollen ihn nicht haben, den freien, deutschen Rhein, 
Bis — seine Flut begraben des letzten Manns Gebein 
setzte er jenen kühnen Federzug, der späterhin aus der Namensunterschrift 
des Sedansiegers der weiten Welt bekannt werden sollte. Auch Radowitz 
riet seinem geliebten Könige, sich jetzt durch einen verwegenen Entschluß 
eine Stellung ohnegleichen zu gewinnen. Die Lage schien für Preußen 
wunderbar günstig. Thiers hoffte zwar den Krieg in Italien zu beginnen, 
um dadurch Deutschland neutral zu halten; er war aber ganz außer 
stande, die gallische Kriegsbegier, sobald sie einmal entfesselt wurde, von 
ihrem eigentlichen Ziele, dem Rheinlande abzulenken, und mit vollem Rechte 
ließ daher die preußische Regierung in Paris erklären, sie müsse jeden 
Angriff auf Italien als einen Kriegsfall betrachten. Wenn Frankreich 
also gezwungen wurde, seine Streitkräfte zu teilen, so konnte nach mensch- 
lichem Ermessen den preußischen Waffen der Sieg nicht entgehen, trotz 
der voraussichtlich elenden Beihilfe der kleinen deutschen Bundesgenossen. 
Aber so wahrscheinlich der kriegerische Erfolg, ebenso gewiß war schließlich 
die diplomatische Niederlage; denn auch dieser Krieg hätte wie der Feld- 
zug von Belle Alliance unter dem Neide und der Halbheit aller Koali- 
tionskriege verkümmern müssen; er konnte nach aller Wahrscheinlichkeit 
nur damit enden, daß Preußen mit ungeheueren Opfern die persönliche 
  
*) Liebermanns Bericht, 23 Febr. 1841. 
*) Bergers Bericht, 6. Jan. 1841.
	        
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